RegioSignaleBlog: Herr Kosok, als Projektleiter Öffentlicher Verkehr bei Agora haben Sie die Erstellung des Leitfadens „Mobilitätsoffensive für das Land“ federführend betreut. Warum braucht das Land eine Mobilitätsoffensive und wie soll sie aussehen?
Philipp Kosok: Es braucht eine Mobilitätsoffensive für das Land, weil sich die Mobilität der Menschen, die in ländlichen Räumen oder in kleinen Gemeinden leben, in den letzten Jahrzehnten sehr stark gewandelt hat. Die Ansprüche an Mobilität haben zugenommen, weil sich Nahversorger aus den kleinen Gemeinden zurückgezogen haben und sich das Angebot in die Zentren verlagert hat. Die Wege sind also weiter und vielfältiger geworden, aber der ÖPNV ist diese Entwicklung nicht mitgegangen. In der Folge hat das Auto eine große Dominanz im ländlichen Raum bekommen. Das ist zwar nicht vollständig umkehrbar, aber der Umstieg auf Alternativen zum Auto kann erleichtert werden.
RegioSignaleBlog: Wobei ja auch auf dem Land nicht jeder ein Auto hat.
Philipp Kosok: So ist es. Nicht alle Menschen haben oder wollen ein Auto. Mehr als jeder zehnte Erwachsene im ländlichen Raum hat keines im Haushalt. Menschen auf dem Land müssen aber auch ohne Auto mobil sein können und dürfen nicht vollständig vom Auto abhängig sein. Deshalb ist es wichtig, ähnliche Bedingungen wie in suburbanen und urbanen Gebieten zu ermöglichen, wo es Alternativen zum Auto gibt. Abgesehen davon wissen wir, dass der Autoverkehr reduziert und elektrifiziert werden muss, um die Klimaschutzziele einhalten zu können. Diese Reduktion erfolgt im Wesentlichen durch eine Verlagerung von Wegen hin zu Bus, Bahn und Fahrradverkehr.
RegioSignaleBlog: Im Leitfaden stehen On-Demand-Dienste im Fokus. Kann der ÖPNV mit diesen Verkehren den über die Jahre entstandenen Rückstand aufholen?
Philipp Kosok: On-Demand-Dienste bieten zumindest eine große Chance, ÖPNV dorthin zu bringen, wo er es bisher schwer hatte, also in Gebieten mit sehr niedrigen Siedlungsdichten. Natürlich wird es ÖPNV in ländlichen Räumen immer schwerer haben als in urbanen Räumen und es wird sicher auch in Zukunft immer ein Unterschied im Umfang des Angebots geben. Aber im Verbund mit Linienverkehren und Regionalzügen ermöglichen On-Demand-Dienste eine deutlich höhere Angebotsqualität: Einerseits komme ich dann mit dem ÖPNV bis zur letzten Milchkanne, andererseits sind zentrale Orte in einer attraktiven Reisegeschwindigkeit erreichbar. So lassen sich mehr Fahrgäste vom ÖPNV überzeugen.
RegioSignaleBlog: On-Demand-Dienste sind ein teures Geschäft. Wo ist der Wirkungsgrad mit Blick auf die Angebotsqualität und Verkehrsreduzierung denn am höchsten?
Philipp Kosok: On-Demand-Dienste sollten im Verbund mit klassischen Linienverkehren und vor allem dort eingesetzt werden, wo es heute so gut wie kein ÖPNV-Angebot gibt. Wie so eine Mischung verschiedener Verkehrsmittel idealerweise aussehen sollte, haben wir in unserem Leitfaden dargestellt. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die ideale Mischung sehr von den lokalen Gegebenheiten abhängt. Der Umfang, in dem On-Demand-Dienste – die meist auf der Kurzstrecke zum Einsatz kommen – zur Verbesserung der Klimabilanz des Verkehrs beitragen können, hängt ebenfalls stark vom Verbund mit schnellen Linienverkehren und dem Fernverkehr ab. Denn der Großteil der Verkehrsleistung, des Energieverbrauchs und damit eben auch der CO2-Emissionen fällt auf Distanzen zwischen zehn und 50 Kilometern an. Wenn wir auch auf diesen Strecken ein überzeugendes Gesamtangebot haben, dann werden sich Menschen auch dafür entscheiden, wirklich auf den eigenen PKW oder zumindest auf den Zweitwagen zu verzichten. Auf dem Land wäre das durchaus ein Fortschritt.
RegioSignaleBlog: Könnte es sein, dass der daraus resultierende Zuwachs an Fahrgästen die Kosten von On-Demand-Diensten ausgleicht oder zumindest maßgeblich mitfinanziert?
Philipp Kosok: Wenn wir ein attraktives Angebot in die ländlichen Räume bringen möchten, dann wird es nicht durch die Fahrgäste allein finanziert werden können, sondern dauerhaft auch auf Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten angewiesen sein. ÖPNV ist kein sich selbsttragendes Angebot. Das ist auch gar nicht das Ziel, zumal der PKW-Verkehr ja auch zahlreiche direkte und indirekte Subventionen aus den öffentlichen Haushalten erhält. Wir brauchen grundsätzlich deutlich mehr Geld im Gesamtsystem des öffentlichen Verkehrs, um Angebotserweiterung möglich zu machen. On-Demand-Dienste sind nur ein Teil davon. Zusätzliche Regional- und Schnellbuslinien und eine Taktverdichtung im Eisenbahnnetz wie es mit dem Deutschlandtakt verwirklicht werden soll, gehören ebenso dazu.
RegioSignaleBlog: Dennoch sind erst einmal die Aufgabenträger gefragt, wenn es um die Bereitstellung von On-Demand-Diensten geht. Was geben Sie Ihnen mit auf den Weg?
Philipp Kosok: Aufgabenträger, in der Regel also die Landkreise, sollten jetzt in die Entwicklung von neuen Angeboten einsteigen. Da muss man aber keine Überzeugungsarbeit leisten. Im Gegenteil: Den Leitfaden haben wir zusammen mit dem Deutschen Städte und Gemeindebund, dem Deutschen Landkreistag und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen erstellt. Alle waren sofort mit im Boot, weil sie unsere Ansicht teilen, dass wir dank moderner Technik und einem geeigneten Rechtsrahmen die Möglichkeit haben, den ÖPNV durch On-Demand-Angebote auf ein neues Level zu heben.
RegioSignaleBlog: Einige On-Demand-Verkehre sind bereits angelaufen. Wie beurteilen Sie die bisherige Entwicklung?
Philipp Kosok: Aktuell gibt es rund 20 Landkreise, die bereits Projekte auf der Straße haben, und es kommen regelmäßig neue hinzu. Seit die Reform des Personenbeförderungsgesetzes 2021 den nötigen gesetzlichen Rahmen für die Realisierung solcher Dienste geschaffen hat, beobachten wir hier eine deutliche Dynamisierung. Es sind oft zwar noch sehr kleine Projekte. Aber die Bereitschaft, diese neuen Dienste auszuprobieren, wächst rasant. Die Landkreise erkennen, dass ihre Bürgerinnen und Bürger heute andere Mobilitätsbedürfnisse haben und dass sie ihnen ein zeitgemäßes Angebot machen können und sollten.