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Herzlichen Glückwunsch, Hamburg!

Hamburgs Bewerbung hat den ÖPNV-Weltverband überzeugt. Welche Chancen bietet das? Wie geht die Stadt die Mobilitätswende an? Senator Anjes Tjarks im Interview.

RegioSignaleBlog: Hamburg hat sich gegen Wien, Genf und Istanbul durchgesetzt und wird den UITP Global Public Transport Summit 2025 und 2027 ausrichten. Herzlichen Glückwunsch dazu! Ist das der Ritterschlag für den erfolgreichen ITS Weltkongress 2021 oder für die Anstrengungen Hamburgs in Sachen Mobilitätswende?  

Anjes Tjarks: Vielen Dank! Ich denke, für den Zuschlag waren drei Dinge entscheidend, die kompakt zusammengehören. Wir haben erstens ein attraktives Kongressangebot vorgelegt, aber dahinter steht zweitens eine ambitionierte Mobilitätswendestrategie, die man drittens nicht denken kann ohne den ITS-Weltkongress 2021. Mit dem UITP Global Summit 2025 und 2027 haben die deutsche Industrie und Mobilitätswirtschaft die Möglichkeit, ihre Leistungsfähigkeit auf internationaler Bühne zu demonstrieren. Wir freuen uns sehr darüber und laden dazu ein, das dann auch zu tun!  

RegioSignaleBlog: Die Bewerbung war Bestandteil der Absichtserklärung „Modellregion Mobilität der Zukunft“, die das Bundesverkehrsministerium und die Stadt Hamburg im Dezember vorgestellt haben. Ein konkretes Projekt der Modellregion ist der Aufbau eines urbanen und digitalen Mobilitätssystems mit 10.000 autonomen Fahrzeugen bis 2030. Das klingt nicht nur sehr ambitioniert, es wirft auch die Frage auf, ob eine derart große Flotte dem klassischen liniengebunden ÖPNV die Fahrgäste wegnimmt.  

Anjes Tjarks: Immerhin haben Sie nicht gesagt: „Das klingt wie Science Fiction.“ Es stimmt natürlich, das ist ein ambitioniertes Ziel, zumal die Fahrzeuge erst entwickelt werden müssen. Wir sind da bereits mit verschiedenen Anbietern im Gespräch. Aber: Wer die Struktur Hamburgs kennt, und das gilt für viele Städte, der sieht eben auch, dass Hamburg außerhalb des Zentrums ein großes Einfamilienhausgebiet ist. Die Erstellung von Infrastruktur und die Produktion des ÖPNV in solchen Gebieten mit abnehmender Bevölkerungsdichte ist natürlich viel schwieriger ist und pro Fahrgast auch viel teurer. Genau an diesem Punkt kommt der autonome On-Demand-Verkehr ins Spiel. Dadurch schaffen wir es, den ÖPNV viel stärker in die Fläche und das Umland zu bringen. Autonome On-Demand-Verkehre sind kein Widerspruch zum klassischen ÖPNV, sondern das nächste Level. Und ehrlicherweise wissen wir alle, dass wir trotz eines super ÖPNV, den wir haben, auch noch viel besser sein könnten. In vielen Regionen Deutschlands gilt das noch mehr als in Hamburg. Also: Die Entwicklung ist nicht gegeneinander gerichtet, sondern komplementär und wird sich ergänzen.  

RegioSignaleBlog: Ein Hamburger Megaprojekt ist die neue Linie U 5, die über eine Länge von 24 Kilometern den Osten und Westen über das Zentrum verbinden soll. Ende September war der erste Spatenstich. Infrastrukturprojekte dieser Größenordnung bedeuten allerdings auch jahrelange Baubelastungen. Machen die Hamburgerinnen und Hamburger da mit?   

Anjes Tjarks: Der erste Streckenabschnitt von 5,8 Kilometern hat Baureife und wird jetzt gebaut. Wir haben eine übersichtliche Anzahl von Klagen, und das in einer hoch urbanen Stadtumgebung mit vielen Betroffenheiten. Wenn man das als indirekten Indikator nimmt, dann sehe ich, dass die Leute mitmachen und es wollen. In der Kommunikation vermitteln wir, warum das Projekt für sie von Vorteil ist. Ich glaube, dass die große Mehrheit das auch so sieht.  

RegioSignaleBlog: Liegt die Zukunft des ÖPNV in der Automatisierung? Die Linie U 5 soll fahrerlos betrieben werden. Der hoch automatisierte Fahrbetrieb über das neue Leit- und Sichersystem ETCS in Verbindung mit Automatic Train Operation (ATO) ist bei der S-Bahn Hamburg zwischen Berliner Tor und Bergedorf bereits ja Realität. Das soll im Rahmen der „Modellregion Mobilität“ weiter vorangetrieben werden. Und beim geplanten Mobilitätssystem auf der Straße geht es ebenfalls um autonome Fahrzeuge …  

Anjes Tjarks: Automatisierung und Digitalisierung sind zwei sehr wichtige Schritte, die ganze Welt wird sie in jeder Branche gehen, und die künstliche Intelligenz wird noch hinzukommen müssen. Der ÖPNV ist gut beraten, wenn er sich da nicht im unteren sondern im oberen Drittel der Entwicklung befindet. Deswegen müssen wir hier investieren. Das hat extrem viele Vorteile in den Abläufen, in der Möglichkeit, ein großes System effizient zu steuern. Aber ohne Menschen wird es auch in Zukunft nicht gehen, da kann ich alle beruhigen.     

RegioSignaleBlog: Die Fahrgäste der S-Bahn Hamburg können sich jetzt am Bahnsteig über die Auslastung ihres Zugs und die beste Chance auf freie Plätze informieren. Mit neuen Design- und Komfortelementen im Innenraum sind die Züge der digitalen S-Bahn zwischen Berliner Tor und Bergedorf unterwegs. Welche Bedeutung haben solche Qualitäts- und komfortorientierten Faktoren für die Mobilitätswende?  

Anjes Tjarks: Das ist ein größerer Faktor als die meisten ÖPNV-Unternehmen das wahrhaben wollen. Natürlich ist es erst einmal wichtig, dass ein Zug überhaupt fährt und dass er pünktlich fährt. Aber dann kommen wir auch gleich in den Bereich der Sitzplatzverfügbarkeit und der zusätzlichen Komfortmerkmale. Die brauchen wir, gerade dann, wenn wir bestimmte Zielgruppen ansprechen wollen, beispielsweise Leute, die sonst Auto fahren. Ohne Geld, ohne zusätzliche Investitionen wird ein Verkehrssystem nicht besser, das ist auch hier der Fall. Service und Komfort sind die Sahne auf der Torte. Die müssen wir haben, damit es den Fahrgästen schmeckt.  

RegioSignaleBlog: Hamburg und das Umland wachsen immer stärker zusammen. Folglich expandiert auch das S-Bahn-Netz immer weiter nach Schleswig-Holstein. Die S 4 führt künftig bis Bad Oldesloe, der Streckenausbau läuft, die S 21 fährt nach Abschluss der Streckenelektrifizierung bis Kaltenkirchen. Wäre da nicht ein Verkehrsverbund naheliegend, der länderübergreifend den ganzen Großraum abdeckt?  

Anjes Tjarks: Der Ausbau der S-Bahn ist ganz toll, der wird uns sehr, sehr viele mehr Fahrgäste beschweren, allein bei der S 4 etwa 75.000 zusätzliche Fahrgäste pro Tag. Das ist wirklich eine Hausnummer. Man muss dazu wissen, dass die S-Bahn den Hamburger Verkehrsverbund nicht verlässt, sondern auch auf den erweiterten Linien im HVV fährt. Aber mit der Einführung des Deutschlandtickets ist ein zentrales Ziel verbunden: Die vielen kleinteiligen Strukturen in den einzelnen Verkehrsverbünden müssen überwunden und es muss eine gemeinsame Linie der Länder eingeschlagen werden.  

RegioSignaleBlog: Wie muss ich das konkret für Hamburg verstehen? Können die Strukturen so bleiben, wie sie sind, oder muss es darum gehen, Aufgaben zusammenzupacken?  

Anjes Tjarks: Es geht mir nicht darum, Dinge zusammenpacken, etwa in dem Sinne, dass der HVV der Generalverkehrsplaner für den norddeutschen Raum wird. Das ist nicht unsere Aufgabe. Aber ich bin gespannt, wieviel Erlöse im HVV künftig vom Deutschlandticket abhängen. Mein Tipp wäre, drei Viertel bis vier Fünftel. Wenn das diese Größenordnung annimmt, stellen sich viele Folgefragen. Zum Beispiel, ob man für die verbleibenden 20 bis 25 Prozent nicht Angleichungen mit den Nachbarn vornimmt, vielleicht sogar deutschlandweit. Da muss jeder seine eigene Strategie entwickeln. Aber klar ist, dass das Deutschlandticket Kleinteiligkeit und Ineffizienz nivellieren wird.  

RegioSignaleBlog: Die autoarme Stadt als ein Zielbild der Hamburger Mobilitätspolitik soll auch mit mehr Rad- und Fußverkehr verwirklicht werden. Damit geht einher, dass der öffentliche Raum umgewidmet wird, was selten ohne Konflikte abgeht. Zum Beispiel dann, wenn Fahrspuren oder Anwohnerparkplätze zugunsten von Radwegen oder Fußgängerflächen entfallen. Mit wieviel hanseatischer Gelassenheit sehen das die Bürgerinnen und Bürger?  

Anjes Tjarks: Ich nehme wahr, dass immer mehr Menschen Rad fahren. Wir haben 2022 ein Rekordniveau erreicht. Man kann die Dinge defizitorientiert betrachten, wie das die Frage nahelegt, man kann sie auch produktorientiert betrachten. Die Leute goutieren es sehr, wenn eine Infrastruktur entsteht, mit der sie sie sich wohl und sicher fühlen und die auch sicher ist. Wir schaffen hier ein neues Mobilitätssystem. Und wenn wir beispielsweise Bäume fällen müssen, um Radwege zu verbreitern, pflanzen wir eineinhalbmal so viele nach, die Stadt wird grüner. Aber auch bei diesem Thema gilt, was für einen Verkehrssenator immer gilt: Erstens, wenn es einem zu heiß ist, sollte man nicht in die Küche gehen; zweitens, wenn man nichts ändert, regen sich auch viele Leute auf.  

RegioSignaleBlog: Zum Schluss noch einmal zurück zum UITP Global Summit. Welche Schubkraft kann der Weltkongress für die Mobilitätswende in Deutschland entwickeln? 

Anjes Tjarks: Wenn wir kurz zurückblicken: Der ITS Weltkongress 2021 hat für Hamburg 130 Millionen Euro Investitionen für das Mobilitätssystem gebracht. Die S-Bahn nach Bergedorf ist beispielsweise in nur zwei Jahren von Siemens und der DB digitalisiert worden. Das ist alles andere als selbstverständlich. Der UITP Global Summit hat das Potenzial, dem ÖPNV noch mehr Schub zu geben, in Hamburg und deutschlandweit. Er kann zeigen, zu welchen technischen und innovativen Mobilitätswendelösungen die Industrie und Verkehrswirtschaft in Deutschland fähig sind. Das beginnt bei der Tunnelbohrmaschinen und endet bei digitalen Ticketlösungen – ein wirklich weites Feld.  

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