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„Mit simplen Kampagnen kommen wir nicht weit“

Trotz groß angelegter Informations- und Werbekampagnen schafft es die ÖPNV-Branche nicht, dass die Menschen öfter den ÖPNV nutzen. Woran liegt das? Jörg Müller, Co-Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Lots*, spricht im Interview über wirkungsarme Kampagnen, Ängste beim Umsteigen und Kommunikation, die Menschen durch Veränderungsprozesse begleitet

Interview: Frank Sträter

Herr Müller, Sie haben mit Unterstützung mehrerer Wissenschaftler:innen und einer Peer-Group von Praktiker*innen aus dem Mobilitätsbereich ein Framework für Verhaltensänderung entwickelt, damit Kommunen, Verkehrsunternehmen und Verbünde mehr Menschen mit ihrer Kommunikation für eine Änderung ihres Mobilitätsverhaltens  gewinnen. Warum braucht es überhaupt so ein Konzept?

Jörg Müller: Der Mobilitätsbranche gelingt es trotz vieler groß angelegter Kampagnen in den letzten Jahren nicht, dass die Menschen das eigene Auto stehen lassen und auf Bus, Bahn, Fahrrad und Sharing-Fahrzeuge umsteigen. Das Gegenteil ist sogar der Fall: In den letzten Jahren hat sich das Angebot kontinuierlich weiterentwickelt und das Verhalten der Menschen hat sich trotzdem nicht geändert. Und jetzt steht die gesamte Branche vor der Herausforderung, dass die politische Lage unklar ist, Budgets reduziert werden, Fachkräfte fehlen, deshalb Linien ausfallen, Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Lage weniger für Mobilitätsbudgets ausgeben und auch noch der Preis des Deutschland-Tickets perspektivisch ansteigt. Das ein existenzielles Problem für Mobilitätsanbieter:innen.

Dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist, ist schon lange bekannt. Warum wurde das bei der Kommunikation der Mobilitätswende bisher nicht entsprechend mitgedacht?

Jörg Müller: Die Macht der Gewohnheit macht scheinbar auch vor den Kommunikationsabteilungen der Verbünde und Verkehrsbetriebe nicht Halt. Zugespitzt sagen viele selbstkritische Marketing- und Kommunikationsleute, dass sie seit zehn, zwanzig Jahren immer das Gleiche machen. Viele Kommunikationsmaßnahmen, die auf Verhaltensänderung abzielen, beschränken sich auf das Format der Kampagne. So eine Kampagne läuft dann drei oder fünf Monate, ist entsprechend budgetiert und setzt gern auf schöne Bilder von Menschen, die in lauen Sommernächten auf dem Rad durch die Stadt fahren. Als Inspiration für einen Familienausflug am Wochenende ist das gut und schön. So eine Kampagne wird aber kaum einen Menschen dazu bringen, dauerhaft aufs Fahrrad umzusteigen. Am Montagmorgen steigen dann alle wieder in ihr Auto. Genau da müssen wir ansetzen.

Wie sieht denn gelungene Kommunikation zur Verkehrswende aus?

Jörg Müller: Zuerst einmal muss man den Menschen bewusst machen, dass es überhaupt ein Problem gibt. Die meisten sind nämlich durchaus zufrieden mit ihren Mobilitätsroutinen und nehmen Informationen über Alternativangebote überhaupt nicht wahr. Es braucht deshalb eine emotionale Ansprache, Vergleichswerte und anschauliche Geschichten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und den Bedarf für Veränderungen sichtbar zu machen. Außerdem macht der Ton die Musik. Ob Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, hängt stark davon ab, wie wir mit ihnen darüber sprechen. Statt also auf Plakaten aggressiv die Verbannung des Autos aus der Stadt zu fordern, sollte man beispielsweise den Ausbau von Fußgängerzonen und Radwege mit dem Sicherheitsfaktor für Kinder begründen. Da fühlen sich die Menschen ganz anders abgeholt.

Welche Hilfestellungen bietet denn Ihr Framework?

Jörg Müller: Wir haben vier Wissenschaftler:innen aus Verhaltenspsychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Mobilitätsplanung und eine Peergroup aus 18 Akteur*innen aus Verkehrsunternehmen und Kommunen in einem Forschungsprojekt zusammengebracht, die mit uns eine praxisnahe Anleitung zur wirksamen Veränderungskommunikation ausgearbeitet haben. Diese enthält eine Typologie unterschiedlicher Zielgruppen. Mithilfe dieser Typologie kann man die Menschen entsprechend ihrer individuellen Veränderungsbereitschaft mit jeweils passenden Kommunikationsstrategien adressieren. Spreche ich zum Beispiel Personen an, die noch nicht mal entschieden haben, ob sie ihr Mobilitätsverhalten verändern wollen? Geht es um Menschen, die zwar etwas verändern wollen – aber noch nicht wissen, wie? Oder adressiere ich Bürger:innen, die bereits in der Veränderung drin sind und die nicht in alte Routinen zurückfallen sollen. Oder habe ich es mit Menschen zu tun, die bereits über die Veränderung hinaus sind und die ich darin unterstützen will, diese Veränderung zu verstetigen? Das Wissen um die Ängste, Barrieren, Einstellungen, Motivationen und Lebensrealitäten der jeweiligen Zielgruppen ist ungemein wichtig. Gute Kommunikation wandelt dieses Wissen um und begleitet die Menschen aktiv bei allen Stufen ihres Veränderungsprozesses.

Hört sich sehr ambitioniert an. Wie kann das funktionieren?

Jörg Müller: Bei so einem Prozess ist die Erhebung von Informationen natürlich der erste und wichtigste Schritt. Danach müssen die Informationen kontinuierlich evaluiert und die Maßnahmen bei Bedarf entsprechend angepasst werden. Dadurch wird Kommunikation zu einem lernenden System, das sich gemeinsam mit den Menschen weiterentwickelt.

Was heißt das konkret?

Jörg Müller: Man muss jede Gelegenheit der Kontaktaufnahme nutzen, bei Behördengängen zum Beispiel, die Menschen um Selbstauskunft bitten. Wie ist ihr Mobilitätsverhalten bisher? Wie sind ihre Routinen? Was könnte diese Routinen möglicherweise ändern? Von quantitativen Erhebungen über qualitative Interviews bis hin zu einfachen digitalen Feedback-Fragebögen entlang der bestehenden Customer Journey stehen ja zahlreiche Tools zur Verfügung. Bei jedem Pop-up-Fahrradweg oder autofreien Superblock müsste es eigentlich eine Umfrage geben. Vor allem aber muss man die Menschen dann erreichen, wenn sich ihre Lebenssituation verändert und sie dementsprechend ihr Verhalten anpassen. Zugezogene etwa, die sich erst einmal in der Stadt orientieren müssen, könnte man bei der Ummeldung zur Begrüßung einen Fahrradstadtplan schenken oder ihnen ein kostenloses Monatsticket zur Verfügung stellen. Jungen Eltern, die sich ein Auto zulegen wollen, weil sie auf einmal viel mehr Gepäck mit sich rumschleppen, muss man ganz direkt attraktive Mobilitätsalternativen anbieten.

Das Konfliktpotenzial verkehrlicher Maßnahmen ist groß, ambitionierte Projekten werden gerne mal per Bürgerentscheid ausgebremst. Könnte begleitende Kommunikation daran etwas ändern?

Jörg Müller: Oft fehlt den Menschen eine Vorstellung davon, mit welchen Vorteilen manche Verkehrsprojekte verbunden sind. Eine neue S-Bahn-Strecke sorgt ja erst einmal nur für Lärm und Dreck. Klar, dass Anwohner:innen da nicht begeistert sind. Menschen tolerieren solche Veränderungen nur dann, wenn sie ihnen persönlich nutzen. Wenn aber nach Abschluss der Bauarbeiten und Inbetriebnahme der Strecke die Vorteile erlebbar werden, ändert sich die Meinung der Menschen vor Ort oft. Begleitende Kommunikation kann Interaktionsräume schaffen, die solche Erkenntnisprozesse und die damit verbundene Verhaltensveränderungen fördern. Dass damit auch das Konfliktpotenzial sinkt, liegt auf der Hand.

Jörg Müller, 48, Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Lots* – Gesellschaft für verändernde Kommunikation, hat für das „Lots* Framework für wirksame Verhaltensänderung“ neben Wissenschaftler:innen aus Verhaltenspsychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Mobilitätsplanung auch 18 Partner aus Kommunen, privater Mobilitätswirtschaft und ÖPNV-Branche zurate gezogen. Das ganze Playbook könnt Ihr hier herunterladen.

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