RegioSignaleBlog: Herr Dr. Kordowski, spätestens seitdem der „Spiegel“ im Frühjahr dem Thema eine Titelgeschichte gewidmet hat, macht die Rede vom „Kulturkampf ums Auto“ die Runde. Gibt es diesen Kulturkampf tatsächlich und wer führt ihn?
Klaus Kordowski: Für Titelzeilen wird der Begriff „Kulturkampf“ gerne genommen, aber ich glaube nicht, dass es ihn beim Thema Auto wirklich gibt. Das würde ja bedeuten, dass weite Teile der Gesellschaft ihre kulturelle Identität unmittelbar vom Auto ableiten. Das mag auf Einzelne zutreffen, ansonsten ist das konstruiert. Was es aber gibt, sind konkrete Konflikte. Eine autozentrierte Verkehrspolitik war über Jahrzehnte mehr oder weniger gesellschaftlicher Konsens. Das hat sich geändert. Im politischen Raum, weil der Klimaschutz im Verkehrssektor kaum vorankommt und große Hebel angesetzt werden müssen, um Erfolge zu erzielen. Und konkret vor Ort, vor allem in Städten, weil dort nicht mehr ohne Weiteres hingenommen wird, dass der Autoverkehr den knappen öffentliche Raum dominiert.
RegioSignaleBlog: Offenbar birgt das größeres Streitpotenzial.
Klaus Kordowski: Natürlich, denn Mobilität ist individuell und gesellschaftlich ein enorm hohes Gut. Jegliche Teilhabe am sozialen und wirtschaftlichen Leben schöpft aus der Mobilität. Zugleich ist aber die Frage, wie sich die Mobilität entwickeln soll, ein systemisches Problem. Und die Autozentrierung hat uns in ein System geführt, in dem Mobilität in den meisten Fällen mit motorisierter Individualmobilität mit dem privaten Pkw gleichgesetzt wird. Das macht die Mobilitätswende im Konkreten so schwierig und weckt Verlustängste. Menschen setzten sich oft eher dafür ein, etwas nicht zu verlieren, als dafür, etwas zu gewinnen.
RegioSignaleBlog: Macht es Sinn, sich in solchen Auseinandersetzungen auf Polarisierungen einzulassen?
Klaus Kordowski: Am Ende nicht. Dass versucht wird, aus Polarisierung politisches Kapital zu schlagen, sehen wir auch in anderen Bereichen. Das betrifft nicht exklusiv das Thema Mobilität. Ich halte das für ein Symptom einer sich schnell verändernden Gesellschaft. Am Ende hilft das aber dem Klimaschutz nicht. Polarisierung erzeugt immer Abwehrhaltungen. Bei Thema Mobilität steht das das Bedürfnis nach Mobilität im Mittelpunkt, und darauf sollte auch die politische Diskussion abzielen. Ein entscheidender Aspekt ist allerdings, dass es immer um nachhaltige Mobilität gehen muss, also um eine Mobilität, die emissionsfrei sein will und sozial gerechten Zugang gewährleistet.
RegioSignaleBlog: Im Abstrakten sind sich da sicher viele einig.
Klaus Kordowski: Was wir häufig sehen, ist eine Diskrepanz zwischen ambitionierten politischen Zielen und dem, was hinterher umgesetzt wird. Vor Ort sagt die Lokalpolitik in vielen Fällen: Ja, wir wollen Klimaschutz im Verkehr, wir setzen uns sogar konkrete Ziele für den Shift vom Auto zu den anderen Verkehrsmitteln. Das geht aber oft einher mit einer Aversion gegenüber den Konflikten, die sich daraus ergeben. Es findet keine offene Kommunikation statt. Es wird nicht gesagt, dass das politisch Gewollte gerade in Städten auch eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums erfordert. Veränderung lässt sich aber nicht spurlos gestalten, so dass niemand sie merkt. Da müssen mehr Ehrlichkeit und mehr Mut in die Debatte.
RegioSignaleBlog: Auch der Mut, klare Prioritäten zu setzen?
Klaus Kordowski: Der Mut, Prioritäten zu setzen und entlang eines verkehrspolitischen Ziels zu handeln. Und auch deutlich zu machen, warum man etwas macht. Dabei muss die Kommunikation so ansetzen, dass sich möglichst viele Menschen darin wiederfinden. Allein die Begriffe „Mobilitätswende“ oder „nachhaltige Mobilität“ sind hochgradig erklärungsbedürftig, das sind Konzepte mit systemischem Anspruch – da wird man oft nicht verstanden. Auch müssen Klimawandel und Klimaschutz nicht an erster Stelle stehen, wenn es um den Verkehr in Städten geht. Mehr Gesundheit durch saubere Luft und weniger Lärm, das ist kommunikativ einfacher zu fassen. Auch mit dem Thema Sicherheit kann viel bewegt werden vor Ort: Eine Stadt, in der das eigene Kind sicher unterwegs ist – so ein Ziel unterschreiben auch Menschen, die weiter weg sind von Umwelt- und Klimaschutz.
RegioSignaleBlog: Bewegen sich die Fachleute, die sich mit Klimaschutz und Mobilität beschäftigen, kommunikativ zu sehr in der eigenen Blase?
Klaus Kordowski: Das ist häufig so. Wir müssen weg von den abstrakten Transformations-Wordings, wir brauchen mehr lebensweltlichen Bezug. Eines unserer Ziele bei der Stiftung Mercator ist es, dass sich möglichst viele Menschen für diese Themen einsetzen. Und das gelingt nur, wenn wir die diejenigen erreichen, die nicht Teil unserer Fachcommunity sind. Wenn man das als Herausforderung benannt hat, dann ist das ein wichtiger erster Schritt.
RegioSignaleBlog: Aber die tatsächlichen Konflikte, wenn etwa Parkplätze wegfallen oder Radwege zulasten von Fahrspuren für den Autoverkehr entstehen, sind damit auch nicht aus der Welt.
Klaus Kordowski: Kompromisse bei der Umgestaltung von Verkehrsinfrastruktur in Städten sind problematisch, wenn sie am Ende dazu führen, dass alles beim Alten bleibt. Das verschärft Konflikte lediglich. Trotzdem muss es immer das Ziel sein, Lösungen zu finden. Es muss Formen der Aushandlung geben, an denen alle legitimen Interessen beteiligt werden. Dafür braucht es geeignete Formate, eine fähige Moderation und eine zielgruppengerechte Kommunikation. Das ist anstrengend, aber notwendig. Aber wenn es kombiniert wird mit Entschlossenheit, Ehrlichkeit und politischem Mut, dann gelingt es auch, Menschen mitzunehmen und für Veränderung zu begeistern.