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„Wir müssen in die Diskussion gehen“

Die Women in Mobility laden zu ihrem nächsten WiM Summit auf der ZUKUNFT NAHVERKEHR ein. Was ansteht, verraten Anne Rückschloß und Dr. Kerstin Wendt im RegioSignaleBlog.

RegioSignaleBlog: Kerstin, Du arbeitest für ein Unternehmen, das in seinem Claim „absolute peace of mind“ verspricht. Das klingt verlockend. Wie macht ihr das? 

Dr. Kerstin Wendt: Synectics stellt Softwaresysteme für Verkehrsleitstellen und Sicherheitsleitstellen her, liefert und konfiguriert Videoausstattungen für Schienenfahrzeughersteller, kurz: Wir machen alles rund um die Fahrgastsicherheit. 

RegioSignaleBlog: Anne, Du bist in der Organisationsentwicklung unterwegs, initiierst und begleitest Veränderungsprozesse. Seelenfrieden ist dabei ja auch nicht ganz unwichtig. 

Anne Rückschloß: Auf jeden Fall. Wir möchten die Mitarbeiterinnen dazu befähigen, mit Veränderungen umzugehen, sich aktiv einzubringen und Entwicklungsprozesse mitgestalten zu können. Einen eigenen Slogan für den Geschäftsbereich Organisation haben wir zwar nicht, aber der VGF-Slogan „Alle fahren mit“ trifft es gut, denn wir unterstützen die Kolleg:innen in ihren Veränderungs- und Entwicklungsbedarfen, etablieren Standards, die Handlungssicherheit geben, und schaffen die Basis, damit alle fit für Veränderungen wie die Digitalisierung sind.  

RegioSignaleBlog: Kennengelernt habt Ihr Euch aber nicht im Job, sondern über Euer ehrenamtliches Engagement für Women in Mobility. 

Anne Rückschloß: Ja, ich habe gemeinsam mit zwei Kolleginnen den WiM Hub in Frankfurt gegründet, und Kerstin ist in … 

Dr. Kerstin Wendt: … Berlin. Dort leite ich mit einigen anderen Damen den regionalen WiM Hub. Aktuell sind Anne und ich als Duo aber voll und ganz damit beschäftigt, den Summit im Rahmen von ZUKUNFT NAHVERKEHR vorzubereiten und die sich anschließenden Aktivitäten beim Railway Forum in Berlin und der IAA in München zu organisieren. 

RegioSignaleBlog: Eure Auftritte während der ZNV läutet Ihr mit einem LunchUp und Statements zu feministischer Verkehrswende und Verkehrspolitik ein. Was brennt Women in Mobility unter den Nägeln? 

Dr. Kerstin Wendt: Dieselben Themen, die die WiM-Gründerinnen 2015 dazu bewogen haben, Women in Mobility ins Leben zu rufen. Einerseits wollen wir natürlich mehr Frauen in der Mobilitätsbranche sehen. Andererseits möchten wir erreichen, dass Mobilität inklusiver, nachhaltiger und gerechter gestaltet wird. Das ist unser Ziel und das wollen wir in dieser Woche im September auch auf allen Ebenen bespielen. Wir zeigen, welche Initiativen es bereits gibt, wo man voneinander lernen und sich weiterentwickeln kann und wir werden diskutieren, warum es so wichtig ist, dass sich Mobilitätsplanung und Mobilitätspolitik verändern.  

RegioSignaleBlog: In meinen Ohren klingt das erfrischend konkret.  

Dr. Kerstin Wendt: Wir wollen nicht mehr darüber reden, was man vielleicht mal in 10 Jahren realisieren könnte. Stattdessen möchten wir Projekte zeigen, die schon heute funktionieren und bei denen sich Kommunen oder Verkehrsunternehmen was abgucken können. Das geschieht idealerweise im Tandem, weil solche Vorhaben in der Regel im Duo von einem Dienstleister und einem Verkehrsunternehmen oder einer Kommune und einem Dienstleister auf die Straße beziehungsweise Schiene gebracht werden. Dabei werden auf jeden Fall auch Projekte unserer europäischen Nachbarn, mit etwas Glück auch die Superblocs in Barcelona, vorgestellt werden.  

Anne Rückschloß: Da schließt sich dann auch der Kreis zu unserer Mission. Schließlich wollen wir sichtbar machen, dass viele unserer Ziele keine Utopien sind, sondern andernorts schon längst im Alltag angekommen sind. So machen wir positive und konkrete Mobilitätsprojekte und die Macher:innen dahinter sichtbar, auch um andere zu ermutigen und motivieren.  

RegioSignaleBlog: WiM steht in einer langen Tradition von Initiativen, die zwar feministische Positionen einbringen sollen, dabei aber immer auch Gefahr laufen, als Feigenblatt missbraucht zu werden. Ist das mittlerweile Vergangenheit, oder besteht dieses Risiko immer noch? 

Anne Rückschloß: Klar, das passiert immer noch … 

Dr. Kerstin Wendt: … was wir auch daran merken, dass wir oft von Veranstaltern angefragt werden, die Speakerinnen brauchen, Themen oder irgendeinen Aspekt für den letzten Tag eines Events suchen. Gleichzeitig kommen Headhunter auf uns zu, die Führungspositionen mit Frauen besetzen sollen, aber keine finden und uns dann quasi bitten, ihre Arbeit zu machen.  

Anne Rückschloß: Solche Vereinnahmungsversuche gibt es immer wieder. Davon muss man sich emanzipieren und stattdessen genau hinschauen, wo wir unsere Themen und Positionen wirklich voranbringen können. Mittlerweile sind wir als WiM aber auch selbstbewusst genug, bei bestimmten Veranstaltungen gar nicht erst mitzumachen oder unsere Bedingungen so zu formulieren, dass wir inhaltlich Einfluss nehmen können.  

RegioSignaleBlog: Spielen Veranstaltungsformat und Fokus dabei eine Rolle? Sind WiM-Positionen bei einer Veranstaltung wie der ZNV, der ein sehr breit gefasster Mobilitätsbegriff zugrunde liegt, eher gefragt? 

Dr. Kerstin Wendt: Klar ist die Automobilbranche ein anderes Pflaster als der ÖPNV. Aber auch da passen und müssen wir rein, um die weibliche Perspektive einzubringen. Frauen machen einfach 50 Prozent der Gesellschaft aus, wir sind in allen möglichen Berufen vertreten und wir passen überall rein. Deshalb muss nicht alles paritätisch besetzt sein, aber Repräsentanz ist definitiv ein Muss. 

Anne Rückschloß: Natürlich machen es uns Veranstaltungen wie ZUKUNFT NAHVERKEHR leichter, weil sie sich schon für unsere Themen geöffnet und ihren Mehrwert erkannt haben. Sie sind vielleicht auch anschlussfähiger. Wenn wir uns aber nur auf sicherem Parkett bewegen wollten, würden wir nichts ändern. Deshalb müssen wir in die Diskussion gehen und unsere Positionen einbringen – gerade auch, wenn es mal unbequemer ist.  

Dr. Kerstin Wendt: Das kann ich nur unterstreichen – auch, weil uns alle Veranstalter, mit denen wir bisher zusammengearbeitet haben, verbunden geblieben sind. Wir haben beispielsweise langjährige Partnerschaften mit dem Future Mobility Summit vom Tagesspiegel, wo wir seit vier, fünf Jahren dabei sind. Wir waren schon drei Mal auf der InnoTrans, planen bereits für nächstes Jahr und rechnen mit zirka Tausend Teilnehmer:innen. Auf der IT-Trans in Karlsruhe werden wir auch wieder mit dabei sein und auf der IAA sind wir jetzt auch schon zum dritten Mal. Alle diese und viele andere Veranstalter arbeiten gerne mit uns zusammen, weil es uns wirklich um den fachlichen Austausch und den daraus resultierenden Mehrwert geht. Anders als unser Name es nahelegt, sind wir auch open for all gender, also offen für alle – es kommen nur leider meist wenig Männer. 

RegioSignaleBlog: Ihr macht das alles ehrenamtlich und ein Tag hat ja nun mal nur 24 Stunden. Ist das auf Dauer nicht auch sehr aufreibend? 

Dr. Kerstin Wendt: Es ist nicht immer einfach. Aber wir unterstützen uns gegenseitig. Wenn bei einer was dazwischenkommt, springt immer eine andere ein und außerdem ziehe ich aus diesem Ehrenamt auch ganz viel Motivation. Ich bilde mich fachlich weiter, baue ein Netzwerk auf und da ich früher auch selbst Mentorinnen hatte, die mich über einen Teil meines Weges begleitet haben, freue ich mich, wenn ich nun ein stückweit zurückgeben kann. 

Anne Rückschloß: Dem Global Gender Gap Report zufolge werden noch 257 Jahre bis zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen vergehen, wenn wir im aktuellen Tempo weitermachen. Ich finde, das ist Motivation genug, um auch mal eine extra Meile zu gehen und sich auch persönlich dafür einzusetzen, dass wir vielleicht doch ein bisschen schneller ans Ziel kommen (lacht). Gerade was Mobilität und damit eben auch gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität angeht, bringe ich mich da wirklich gerne ein. 


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