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„Busfahren bringt mich raus aus meiner Bubble“

Für Journalistin und Moderatorin Linda Zervakis ist Mobilität kein abstraktes Konzept, sondern eine zutiefst persönliche Erfahrung. Darüber spricht sie auch in unserem Podcast „Ticket to Anywhere“ – und hier über die Liebe zum Fahrrad, die Bodenhaftung im Bus und das Recht auf gute Mobilität

Interview: Laslo Seyda

Frau Zervakis, Sie sind in einer Arbeiterfamilie in Hamburg-Harburg aufgewachsen, mussten früh selbständig sein. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Busfahrt ohne Begleitung?

Linda Zervakis: Oh ja. Ich war ungefähr sieben Jahre alt, war gerade in die erste Klasse gekommen und musste zwei Stationen mit dem Bus zur Schule fahren. Meine Eltern haben mir die Strecke einmal gezeigt – und dann hieß es: Ab jetzt fährst du die Strecke allein, wir müssen zur Arbeit. Nachmittags bin ich dann auch noch in die griechische Schule gegangen, die war sieben oder acht Haltestellen entfernt. Im Nachhinein finde ich das wahnsinnig mutig – vor allem im Winter, wo es zum Schulschluss am Nachmittag schon zappenduster war. Bei meinen zwei Kindern war das anders. In dem Alter habe ich sie zum Fußball oder Schwimmen gebracht und auch wieder abgeholt. Aber in meiner Kindheit sah der Alltag einfach anders aus.

Gibt es bestimmte Situationen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Linda Zervakis: Ja, vor allem diese eine Sache: Als wir umgezogen sind, musste ich eine vierspurige Straße überqueren, um zur Haltestelle zu kommen. Die nächste Ampel war einen halben Kilometer entfernt, also haben meine Eltern gesagt: Du fragst irgendeine erwachsene Person, ob sie dich mit über die Straße nehmen. Um Hilfe zu bitten, war jedes Mal eine riesige Überwindung. Zum Glück waren die Menschen immer sehr nett und verständnisvoll. Ich erinnere mich aber noch genau an dieses Gefühl: Oh Gott, jetzt bin ich das kleine nervige Kind, das immer alle anquatscht. Mobilität wird ja oft mit einem Freiheitsgefühl verbunden. Für manchen Menschen bedeutet es aber eben auch Stress.

Welches Verkehrsmittel macht Sie besonders glücklich? 

Linda Zervakis: Das Fahrrad. Es gibt mir einfach das Gefühl, komplett selbstbestimmt zu sein. Keine Abfahrtszeiten, kein Gedränge – einfach losfahren, wann und wohin ich will. Aber ich muss ehrlich sein: Letztes Jahr hatte ich einen Unfall. Bis dahin bin ich ohne Helm gefahren. Total unvernünftig, ich weiß. Aber ich musste mich erst dran gewöhnen, einen Helm zu tragen. Ich liebe es einfach, mit offenen Haaren durch die Stadt zu fahren – vor allem jetzt, im Sommer. Das hat was Unbeschwertes – und das geht mit Helm irgendwie verloren. Ich arbeite daran, dass es zur Routine wird.

Haben sich Ihre Mobilitätsgewohnheiten in den letzten Jahren verändert?

Linda Zervakis: Ja, ich verzichte öfter aufs Fliegen, fahre innerhalb Deutschlands deutlich mehr mit dem Zug. Ich setze mich aber auch regelmäßig ganz bewusst in den Bus. Meine Mutter lebt in einem anderen Stadtteil, da brauche ich locker 30 Minuten hin. Wenn ich Bus fahre, komme ich aber auch mal raus meiner Bubble. Das ist für mich immer eine kleine Milieustudie, schafft ein größeres Bewusstsein für die Realität und erdet mich. Ich wünsche mir manchmal, einige Politiker:innen und Wirtschaftsvertreter:innen würden das auch machen. Einfach mal einen echten Einblick dafür bekommen, wie andere Menschen so leben und was los ist in unserer Gesellschaft.

Besonders beruflich sind Sie viel unterwegs. Wie beeinflusst das die Wahl Ihrer Verkehrsmittel?

Linda Zervakis: Eigentlich fühle ich mich am sichersten, wenn ich selbst hinterm Steuer sitze. Wenn ich aber sehe, was zu den Stoßzeiten so los ist auf den Straßen… da krieg ich zu viel. Bei dem ganzen Stop und Go vergeht einfach nur sinnlos Zeit. Dazu habe ich gar nicht die Kraft und den Nerv. Vor allem nicht in anderen Städten, wo ich mich ständig auf neue Verkehrssituationen und Straßenführungen einlassen muss. Wenn ich weiß: Heute habe ich einen Dreh oder ein Interview, meide ich bewusst das Auto. Ich will mich fokussieren, sortieren, die Dinge im Kopf noch einmal durchgehen. Dafür sind die Öffis perfekt. Auch wenn immer alle rummäkeln an den Öffis: Im Vergleich zu Thessaloniki zum Beispiel oder anderen Metropolen auf der Welt auf der Welt ist der ÖPNV bei uns in Deutschland schon sehr, sehr gut organisiert.

In vielen Großstädten gibt es Debatten über Gentrifizierung und Verdrängung. Was müsste sich ändern, damit sich alle Menschen unabhängig von Herkunft, Bildung oder Einkommen gleich gut fortbewegen können?

Linda Zervakis: Regelmäßigkeit. Verlässlichkeit. Gerade in den Randbezirken. Da sollten Busse nicht nur alle 20 oder 60 Minuten kommen – sondern im besten Fall doppelt so oft. Und natürlich muss man sich auch anschauen, zu welchen Uhrzeiten Busse am meisten benötigt werden. Das Deutschland-Ticket hat aber schon einiges in Gang gesetzt. Es nimmt vielen Menschen diese ständige Abwägung: Kann ich mir das leisten? Ist mein Ticket in dieser Zone wirklich gültig? Man weiß einfach: Für 58 Euro kann ich den ganzen Monat fahren – egal wo. Das ist eine echte Erleichterung.

Tempolimit, autofreie Innenstädte, SUV-Verbote: Als Nachrichtensprecherin haben Sie oft über Infrastruktur und Verkehr berichtet. Werden solche komplexen Themen in den Medien zu oberflächlich behandelt und diskutiert? 

Linda Zervakis: Ich habe den Eindruck, dass in den Medien überwiegend über die Probleme auf Deutschlands Straßen berichtet wird. Vielleicht täte es auch mal gut, öfter Positiv-Beispiele zu zeigen oder über Erfolge zu berichten. Dann ändert sich die Wahrnehmung und Stimmung.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Freiwilligkeit in Sachen Klimaschutz nur bedingt erfolgreich sei und es mehr Verbote und klare Regeln brauche. Welche Maßnahmen würden Sie beim Verkehrssektor angehen? 

Linda Zervakis: Da wir ja immer noch weit weg sind von einer Vermögenssteuer für sehr reiche Menschen, würde ich eine Zusatzsteuer vorschlagen. Also nicht nur Kfz-Steuer, sondern so eine Art Zusatz-Kfz-Klima-Steuer für jedes Fortbewegungsmittel, das die CO2-Werte nach oben katapultiert – ganz gleich ob Auto oder Privatjet.

Auf ProSieben haben Sie bis vor kurzem das Satire-Format „Fake News“ moderiert, in dem Sie falsche Behauptungen aufgestellt und entlarvt haben. Welche Mobilitätslüge ärgert Sie am meisten?

Linda Zervakis: Dass Autofahren immer schneller ist. Das ist doch Quatsch! Guckt euch die Städte an: Überall Baustellen, Staus, Parkplatzmangel! Da geht’s doch kaum vorwärts. Da ist die Bahn definitiv die bessere Wahl. Oder diese Behauptung, dass die Öffis immer dreckig und die Mitarbeitenden unfreundlich sind. Das stimmt so nicht! Ich finde, gerade bei der Bahn geben sich die Leute viel Mühe. Die Ansagen sind freundlich, manchmal sogar richtig witzig. Da hat sich echt was getan.

Linda Zervakis, 50, arbeitete als Werbetexterin, machte eine Ausbildung zur Redakteurin, half aber bis zu ihrem 28. Lebensjahr auch immer wieder im elterlichen Kiosk in Hamburg-Harburg. 2013 übernahm sie die Moderation der Tagesschau, wurde so bundesweit bekannt. In ihrer eigenen Show „Zervakis & Opdenhövel. Live“ auf ProSieben setzte sie im Bundestagswahlkampfes 2021 Spitzenpolitiker wie Wolfgang Kubicki, Hubertus Heil und Paul Ziemiak mit Wähler:innen in ein Taxi und konfrontierte sie so ganz direkt mit deren Sorgen und Problemen. Alle Infos zu „Ticket to Anywhere“ und die Links zur Folge mit Linda Zervakis findet Ihr hier.

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