Das Institut für Mobilität der Universität St.Gallen ist Initiator des „Future Mobility Lab“, das von mehr als 20 Konsortialpartnern aus Deutschland und der Schweiz getragen wird. Auch DB Regio gehört dazu. Die erste Studie unter dem Titel „New Mobility Buddys“ unter Leitung von Dr. Philipp Scharfenberger ist den Erfolgsfaktoren und Barrieren eines Umstiegs auf nachhaltige Mobilitätslösungen nachgegangen.
RegioSignaleBlog: Herr Dr. Scharfenberger, ein verbreitetes Bild moderner Mobilität geht davon aus, dass Menschen Wahlfreiheit besitzen und auch ausschöpfen – also mal Sharing- und On-Demand-Angebote nutzen, dann wieder Bus und Bahn, gerne das Rad nehmen, manchmal auch das Auto, das keineswegs das eigene sein muss. Ist das nach Ihren Erfahrungen als „Mobilitäts-Buddy“ Zukunftsmusik oder Wirklichkeit?
Philipp Scharfenberger: In unserer Untersuchung haben wir da eine große Spannbreite gesehen. Wir haben Haushalte kennengelernt, die ihr eigenes Verhalten reflektieren, in ihren Kenntnissen sehr weit und in ihrem Verhalten breit gefächert sind. Wir haben aber auch Haushalte mit sehr einseitigem Mobilitätsverhalten erlebt. Für die war das alles noch weit weg.
RegioSignaleBlog: Mit der Studie „New Mobility Buddys“ haben Sie 20 Haushalte in Deutschland und der Schweiz vier Monate begleitet. Die Lebens- und sozialen Bedingungen waren sehr unterschiedlich – mal urban und mal ländlich, mal älter und mal jünger, mal finanziell stärker und mal schwächer. Gibt es trotzdem gemeinsame Nenner, was das Mobilitätsverhalten prägt?
Philipp Scharfenberger: Da sind zum einen die Routinen. Die entwickeln sich aus dem Leben heraus, aus den Anforderungen des Alltags, haben aber auch mit Sozialisation zu tun, also zum Beispiel damit, was das Umfeld vorlebt. Ein weiterer gemeinsamer Nenner ist, dass Mobilität praktikabel sein muss. Mobilität ist mit den verschiedensten Lebensbereichen verknüpft. Viele Haushalte haben sehr intensive, durchgetaktete Tagesabläufe. Da ist vieles unter einen Hut zu bringen. Damit muss die Art, wie man sich fortbewegt, vereinbar sein – sie muss in den jeweiligen Lebensstil integriert werden können.
RegioSignaleBlog: Welche Rolle spielten das steigende Umweltbewusstsein und die Klimakrise?
Philipp Scharfenberger: Für die Teilnahme an der Studie war das oft ein ausschlaggebender Punkt. Viele Haushalte haben mitgemacht, weil sie nachhaltiger mobil sein wollen. Wenn man aber vier Monate einen Haushalt begleitet, wird deutlich, dass für die konkrete Wahl des Verkehrsmittels andere Dinge entscheidend sind. Mobilitätsmodi müssen sich in den Alltag einfügen und ihn unterstützen. Nachhaltigkeit ist dann das Sahnehäubchen obendrauf, reicht als alleiniges Motiv aber in der Regel nicht aus.
RegioSignaleBlog: Ist das eigene Auto vor der Haustür so etwas wie die geöffnete Chipstüte beim Fernsehen, in die man unbewusst greift?
Philipp Scharfenberger: Ich mag das Bild, obwohl wir die Studie bewusst verkehrsmittelneutral angelegt haben. Wir haben untersucht, wie vor dem Hintergrund der jeweiligen Mobilitätsbedürfnisse das Bestmögliche für eine nachhaltige Mobilität zu erreichen ist. Das schließt das Auto keineswegs aus: Es gibt durchaus Kontexte, in denen der Pkw Sinn macht. Aber das Auto ist wie die geöffnete Chipstüte auch eine Verführung, weil es sehr bequem ist. Wenn es vor der Tür steht, benutze ich es möglicherweise so selbstverständlich, dass ich über andere Mobilitätsformen gar nicht mehr nachdenke.
RegioSignaleBlog: Chips enthalten Geschmackverstärker, die den Appetit anregen. Welche Geschmackverstärker hat das Auto, die der ÖPNV nicht hat, aber haben sollte?
Philipp Scharfenberger: Das sind vor allem die einfache und flexible räumliche sowie zeitliche Verfügbarkeit. Das bedeutet nicht, dass der öffentliche Verkehr in diesem Punkt unbedingt schlechter abschneidet. Aber selbst wenn das Angebot gut ist, wird es insbesondere von unerfahrenen ÖPNV-Nutzern häufig als fragmentiert und kompliziert wahrgenommen. Das Auto bietet darüber hinaus einen Wohlfühlraum, einen Safe Space. Wir leben in dichten und intensiven sozialen Strukturen, sind einen Großteil des Tages im Austausch mit Familie, Freunden, Kollegen und Kunden, arbeiten teils in Großraumbüros, ohne die Tür schließen zu können. Das Auto ist da ein Rückzugs- und Sicherheitsraum. Ein Ort, an dem man für sich sein kann.
RegioSignaleBlog: Das Mobilitätsverhalten mancher Teilnehmenden an der Studie hat sich tatsächlich geändert. Die verkehrsbedingten Emissionen aller untersuchten Haushalte konnten zum Teil deutlich reduziert werden. Zwei Haushalte verkauften sogar ihre Autos. Wie haben sie das erreicht?
Philipp Scharfenberger: Es braucht externe Impulse. Zum einen bedeutet das Motivation. Wir haben uns intensiv mit den Haushalten beschäftigt – mit dem Ziel, dass das Mobilitätsverhalten reflektiert wird, aber immer so, dass wir die jeweiligen Lebensumstände akzeptiert und die Bedürfnisse ernst genommen haben. Wir haben niemandem etwas aus- oder eingeredet, sondern die Leute im Dialog abgeholt und uns an das herangetastet, was im jeweiligen Kontext möglich ist. Zum zweiten geht es um Information. Also darum, aufzuzeigen, was denn jenseits des Autos vorhanden und möglich ist. Das ist oft bereits eine ganze Menge. Diese vielseitigen Alternativen einfach und transparent zu vermitteln, ist allerdings eine Herausforderung.
RegioSignaleBlog: In manchen Haushalten haben die Mobilitätsbuddys allerdings nichts bewirkt. Da ist das Auto trotz höherer Kosten und guter Alternativen weiter das Verkehrsmittel der Wahl. Offenbar werden Mobilitätsentscheidungen nicht nur rational getroffen …
Philipp Scharfenberger: In manchen Kontexten – insbesondere im ländlichen oder suburbanen Raum – sind Personen einfach auf das eigene Auto angewiesen. Hier kann der Umstieg auf Elektromobilität und die Verkleinerung der Fahrzeuge bzw. deren Anzahl ein möglicher Ansatz sein. Manche Personen sind aber in der Tat nicht nur durch ihre Lebensumstände auf das Auto fixiert, sondern auch emotional stark an das Auto gebunden. Für sie ist das ein wichtiger Teil ihres Lebens. Das müssen wir ernst nehmen. Trotzdem lassen sich diese Menschen abholen – zum Beispiel, indem man die Anzahl der Autofahrten wo sinnvoll reduziert und sich auf jenen Einsatzbereich fokussiert, der besonders Freude bereitet.
RegioSignaleBlog: Man wird nicht allen Menschen einen „Buddy“ an die Seite stellen können, um sie zu einem bewussteren Umgang mit ihrer Mobilität zu bewegen. Was lässt sich also tun, um es trotzdem zu fördern?
Philipp Scharfenberger: Wichtig ist, die Menschen zu sensibilisieren und zu informieren. Wichtig sind auch gesellschaftliche Meinungsführer, die einen reflektierten Umgang mit Mobilität vorleben. Der damit verbundene Wertewandel braucht natürlich Zeit. Eine sehr konkrete und wichtige Maßnahme sind zudem multimodale Apps, die möglichst großflächig das ganze Mobilitätsangebot verfügbar machen, also Bus und Bahn, Sharing und Mikromobilität. Multimodale Apps zeigen verfügbare Optionen auf, erleichtern deren Kombination und den Zugang zu diesen. Zu einem gewissen Grad skalieren sie das, was auch die Buddys geleistet haben.
RegioSignaleBlog: Brauchen wir mehr „Mobilitätsbildung“, wie es auch Umweltbildung, politische Bildung und Gesundheitsbildung gibt?
Philipp Scharfenberger: Dass es mehr Bildung braucht, kann ich nur unterstreichen. Von meinem Kollegen Jannis Linke, der viele Haushalte als Buddy betreut hat, stammt der Gedanke, dass es eine Mobilitätsausbildung ähnlich zum Führerschein geben sollte, mit dem junge Menschen ja in die Welt des Autoverkehrs einsteigen und der die automobile Welt somit auch kultiviert. Nachhaltige Mobilität wäre zum Beispiel als Bestandteil des Führerscheins denkbar. Das würde dann mit der Frage beginnen, wann man das Auto wirklich braucht und wann andere Mobilitätslösungen mehr Sinn machen.
Hier geht es zum Future Mobility Lab: https://imo.unisg.ch/de/future-mobility-lab/
Ab 16. Mai stehen dort die Ergebnisse der Studie „New Mobility Buddys“ im Detail zur Verfügung.