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„Der Ball liegt beim Bund und bei den Ländern“

Viele Menschen würden gerne aufs Auto verzichten. Ihnen könnte geholfen werden, sagt Alexander Möller, neuer Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen.

RegioSignaleBlog: Herr Möller, der in der Mobilitätsbranche verbreitete Begriff „multimodal“ trifft auch auf Ihre Karriere zu. Wo hat es bisher am meisten Spaß gemacht? Beim ADAC? Bei DB Regio Bus? Bei Roland Berger? Oder in den ersten 100 Tagen als Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)?  

Alexander Möller: In allererster Linie geht es darum, die Herausforderungen erfolgreich zu meistern, die vor einem liegen. Insofern betrachte ich die bisherigen beruflichen Stationen fast als Vorbereitungen für die Aufgabe beim VDV. Jetzt bin ich Teil eines Teams, das den gemeinsamen Erfolg der Branche will. Diese Gemeinsamkeit müssen wir gerade wegen der Veränderung und Transformation, in der wir stecken, immer wieder suchen und leben. Und natürlich haben wir bei der gemeinsamen Arbeit auch Spaß.  

RegioSignaleBlog: Die vergangenen neun Jahre haben Sie die ÖPNV-Branche von außen betrachtet. Wie hat sie sich nach Ihrer Wahrnehmung in dieser Zeit entwickelt? 

Alexander Möller: Ich war eine Zeit lang auf dem Beiboot des großen ÖPNV-Schiffes, aber natürlich in der Nähe – vor allem mit dem ÖPNV-Leistungskostengutachten, aber auch mit anderen Projekten zwischen 2019 und 2022. So konnte sich auch mein Verständnis von Veränderung und deren Tiefe Schritt für Schritt entwickeln. Dabei war die wichtigste Erkenntnis: Die öffentliche Mobilität auf Schiene und Straße wird heute endlich als Mit-Garant für den Klimaschutz wahrgenommen. Daraus hat die Branche einiges gemacht. Das darf jetzt nicht abreißen. Hinzu kommt der dynamische Wandel bei der Technik: Elektroantriebe, Automatische Fahrgastzählsysteme, Fahrgastinformation, Auslastungsanzeiger, Digitalisierung der Dienst- und Umlaufplanung, präventive Instandhaltung – und ein digitales Deutschland-Ticket.  

RegioSignaleBlog: Das Thema Deutschland-Ticket und dessen weitere Entwicklung liegt sicher ganz oben auf Ihrem Schreibtisch. Erfüllen die bisherigen Verkaufszahlen Ihre Erwartungen? 

Alexander Möller: Das D-Ticket dominiert gerade. Aber es gelingt uns, die kleinen Fach- und Entscheidungsthemen nicht zu vernachlässigen. Das gilt für die öffentliche Infrastruktur, den Fachkräftemangel, den Aufwuchs der E-Busse, die Digitalisierung der kommunalen Verkehrssysteme oder die Dauerdebatten zum Fahren ohne Ticket und zur Sicherheit im ÖPNV. Als Branchen- und Fachverband liefern wir, gemeinsam mit den Mitgliedern. Gleichwohl, das D-Ticket steht für eine Revolution des ÖPNV, die begonnen hat. Die Verkaufszahlen sind im prognostizierten Bereich – obwohl noch wesentliche Gruppen wie die Studierenden fehlen. Ich denke außerdem, dass die sehr gute Entwicklung beim D-Ticket Job weitergeht. 

RegioSignaleBlog: Stand Mitte Juni lag die Zahl der Neukunden, die vorher den ÖPNV nicht genutzt haben, bei rund acht Prozent. Da ist noch Luft nach oben? 

Alexander Möller: Ich rate uns zu einem anderen Blickwinkel. Ja, die knapp 10 Prozent bisheriger „Heavy Nicht-Nutzer“ sind ein Anfang mit Luft nach oben. Interessant sind aber auch die starken 44 Prozent, die vorher nur mit Monats- oder mit Mehrfahrtenkarten unterwegs waren. Diese haben jetzt eine bundesweite ÖPNV-Flat auf dem Handy oder im Portemonnaie und werden damit nicht bei jedem neuen Mobilitätsbedürfnis überlegen müssen, wie kompliziert der ÖPNV ist. Gut für das Klima. Gut für unsere Unternehmen. 

RegioSignaleBlog:  Der VDV hat bei seiner Jahrestagung im Juni in Leipzig angemahnt, nach dem Deutschland-Ticket müsse das „Deutschland-Angebot“ kommen. Damit gemeint ist ein attraktives Angebot nicht nur in den Ballungsräumen, wo die Kapazität das wesentliche Problem darstellt, sondern auch in der Fläche. Wie profitiert die Politik davon, die ja die öffentlichen Mittel zur Verfügung stellen müsste? 

Alexander Möller: Als Branchenverband haben wir immer gesagt: erst das Angebot ausbauen, dann die Preise anschauen. Nun ist es anders gekommen und das D-Ticket ist ein Erfolg. 41 Prozent derjenigen, die ein D-Ticket gekauft haben, geben als Hauptgrund die bundesweite Gültigkeit an. 18 Prozent sagen, mit dem Kauf des D-Tickets bewusst auf Autofahrten verzichten zu wollen. Nur müssen wir denjenigen von den 82 Prozent, die das auch gern tun würden, aber in Ermangelung eines ausreichenden ÖPNV-Angebots nicht können, helfen. Beim Angebotsausbau – das ÖPNV-Leistungskostengutachten hat dargestellt, was wir in den Städten, im suburbanen und im ländlichen Raum an finanzieller Unterstützung brauchen – liegt der Ball beim Bund und den Ländern. Deshalb ist es schade, dass wir beim Ausbau- und Modernisierungspakt nicht vorankommen.  

RegioSignaleBlog: In der politischen Diskussion sind auch die Strukturen im Nahverkehr, die die Bundesregierung mit dem Ausbau- und Modernisierungspakt (AMP) auf neue Grundlagen stellen will. Was erwarten Sie von den kommenden Verhandlungen? 

Alexander Möller: Ich habe – übrigens in nahtloser Übereinstimmung mit meinem Vorgänger Jan Schilling – bisher immer dafür geworben, dass wir keine Strukturdebatten führen. Gleichzeitig nehme ich wahr, dass auf Bundesebene, in Bundesländern und Kommunen die Fragen nach Effizienzen zunehmen. Parallel dazu haben wir als VDV zusammen mit dem Bundesverband SchienenNahverkehr, dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer und dem Deutschlandtarifverbund bei der schnellen Umsetzung der ARGE für das Clearing des Deutschlandtickets gezeigt, was gemeinsam effizient geht. Beim AMP geht es erstmal um den Erhalt des Angebots. Dann geht es – wir wollen die Klimaschutzziele bis 2030 erreichen und eine Alternative zum Auto für möglichst viele Menschen bieten – um den Ausbau des Angebots und es gibt unendlich viel zu tun, um Effizienz und Digitalisierung weiter voranzutreiben. Es geht um Bahn- und Busförderung, Qualitätskriterien, Ausbau digitalisierter ÖPNV-Systeme, beim Ausbau um die Überleitung von On-Demand-Projekten in eine ÖPNV-Regelfinanzierung, die kraftvolle Entwicklung von Mobilitätshubs im ländlichen Raum und in Bezug auf Effizienz um solche lebensnahen Projekte wie das nachträgliche Lasern von Zugscheiben in SPNV-Bestandsflotten. Ein großes Potenzial hat die flächendeckende Erhebung von Nutzungsdaten und deren Verwendung für Planung. Diese Stellhebel stehen nur exemplarisch für viele weitere Vorhaben, deren Konzepte oft da sind, aber häufig nicht umgesetzt werden können, weil die Ressourcen fehlen. Also viel zu tun für alle in der Branche. 



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