Alexander Gutzmer ist Professor für Kommunikation und Medien an der Quadriga-Hochschule und Berlin und baut dort das „Center for Corporate Architecture and Spatial Identity“ auf. Außerdem verantwortet er den Bereich Research & Communication beim Projektentwickler ehret +klein. Auf der ZUKUNFT NAHVERKEHR moderierte er das Panel „Wie wird geteilte Mobilität zur ersten Wahl?“
RegioSignaleBlog: Herr Gutzmer, was ist die aus Ihrer Sicht wünschenswerte Stadt der Zukunft und die Mobilität, die dazugehört?
Alexander Gutzmer: Das Modell der Shared Mobility ist ein attraktives, es macht Stadt interessanter, macht Stadt flexibler und macht uns flexibler. Und darum geht es am Ende. Die attraktive Stadt der Zukunft ist eine Stadt der Möglichkeiten. Eine Stadt, die uns als Citizens Möglichkeiten gibt, uns neu zu entdecken, Stadtraum neu zu entdecken. Zugleich muss die Stadt auch Lust darauf machen, entdeckt zu werden. Und da spielt die Architektur eine große Rolle.
RegioSignaleBlog: Die Gegenwart ist oftmals eher trist. Es vergeht kein Tag ohne die Klage darüber, dass Innenstädte veröden, nicht mehr lebenswert sind. Wenn eine Krise immer zugleich eine Chance bedeutet: Wo liegt die Chance?
Alexander Gutzmer: Ich sehe die Krise gar nicht so schlimm. Was passiert ist: Ein Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, nämlich der klassische Einzelhandel in einer Monostruktur. Ich glaube aber, dass es viele Wege gibt, sich Architektur neu anzueignen. Architekten spielen eine sehr wichtige Rolle, weil sie wissen, wie man Gebäude unterschiedlich nutzen kann. Wir brauchen neue Nutzungsideen. Projektentwickler und Architekten sind dabei, solche neuen Ideen zu entwickeln. Thomas Willemeit hat uns auf der Zukunft Nahverkehr eine neue Idee für neue Nutzung des ICC hier in Berlin vorgestellt. In meiner Heimatstadt Hannover macht ein Kaufhof zu. Jetzt gibt es den Aufruf, dass dort eine Experimentierfläche entsteht. Also, es tut sich viel. Ich glaube, dass unsere Städte gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.
RegioSignaleBlog: Wie muss man sich eine revitalisierte Stadt vorstellen, die an vorhandene Strukturen anknüpft?
Alexander Gutzmer: Sie sieht vor allem vielfältiger aus. Statt ein großes Kaufhaus zu haben, hat man unterschiedliche Nutzungselemente. Es kann auch darum gehen, bestehende Architekturen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich zu nutzen, also tagsüber anders als abends. Der wichtigste Punkt ist aber: Stadt gehört uns allen. Wir müssen uns die Stadt neu aneignen.
RegioSignaleBlog: Gestalten wir die Städte neu, indem wir die Mobilität neu gestalten? Oder haben neu gestaltete Städte eine neue Mobilität zur Folge?
Alexander Gutzmer: Wahrscheinlich ist es eher das Letztere. Mobilität hat schon eher eine dienende Funktion. Aber es mag auch sein, dass unterschiedliche Städte jeweils eigene Mobilitätsregimes haben, die ihrer jeweiligen Stadtstruktur entsprechen – und die ihrerseits die Stadtentwicklung beeinflussen. Auch die 15-Minuten-Stadt ist ein Beispiel dafür. Am Ende glaube ich, dass wir vor allem die Vision einer Stadt brauchen. Die Mobilität schließt sich dem ein Stück weit an. Ich persönlich glaube, dass das Modell der 15-Minuten-Stadt attraktiv ist, sie aber das Zentrum nicht komplett ersetzt. Das Quartier, der Stadtteil, ist wichtig. Aber das Zentrum mit all seinen Verheißungen ist und bleibt auch wichtig. Das Metropolenhafte gehört ebenfalls zur Stadt. Stadt ist nicht nur Kuschelzone.
RegioSignaleBlog: Sie sagen: Verkehrswende heißt, geteilte Mobilität zur ersten Wahl machen. Kann „gemeinsam statt einsam“ funktionieren, wenn Individualisierung und der Wunsch nach Individualität Kennzeichen unserer Zeit und Gesellschaft sind?
Alexander Gutzmer: Individualität will ich als Stadtmensch ja auch zeigen, und ich zeige sie gemeinsam mit anderen. Für mich sind das nicht die großen Gegensätze. Es gibt ja die Bereitschaft, Dinge zu teilen. Dass wir E-Roller sharen, hat sich durchgesetzt, es hat niemand ein Problem damit, dass einem der E-Roller nicht gehört. Im Gegenteil: E-Roller erwarte ich einfach in einer Stadt, genauso wie Leihfahrräder. En gros sind das riesige Erfolgsmodelle. Autos werden in der Breite noch nicht so gerne geteilt, da werden wir sehen, ob das noch kommt und dann das individuell besessene Auto ersetzt. Grundsätzlich glaube ich aber: Sharing ist ein Element der Individualisierung. Ich drücke mich selber als Individuum aus, indem ich Sharing intelligent nutze. Und mit einem E-Roller durch die Stadt zu fahren, macht schon einfach Spaß. Mobilität hat auch diesen Aspekt, nämlich Freude und Spaß. Mobilität ist eben mehr als reine Funktionserfüllung.