Als Landrat Andreas Müller im ÖPNV-Forum des Kreises Siegen-Wittgenstein den Gutachterentwurf für den neuen Nahverkehrsplan vorstellte, fand er einen bemerkenswerten Einleitungssatz. Der Landrat hätte den Klimaschutz in den Vordergrund stellen können, auch die Verkehrsbelastungen in der Universitätsstadt Siegen mit ihren mehr 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern oder die Kosten, die der Individualverkehr verursacht. Stattdessen betonte Müller den Beitrag des ÖPNV, um Land und Leute zusammenzuhalten. „Vielerorts im Kreisgebiet verschwindet ein Baustein der Daseinsvorsorge nach dem anderen: Erst war die Post weg, dann der Arzt, irgendwann hat das letzte Geschäft zugemacht. Die Kita ist oft noch das letzte, was es tatsächlich im Dorf gibt. Vor diesem Hintergrund müssen wir, die wir Verantwortung für die Menschen und für die Entwicklung unserer Region tragen, uns fragen: Wenn die Infrastruktur nicht mehr bei den Leuten vor Ort ist, wie bringen wir dann die Menschen dorthin, wo es die Dinge gibt, die sie brauchen?“
Der Landkreis Siegen-Wittgenstein, gelegen in Südwestfalen an der Grenze zu Hessen und Rheinland-Pfalz, hat sich auf den Weg zu einem besseren Busverkehr gemacht. Das Ziel sind zwei Millionen Fahrgäste pro Jahr mehr, eine Steigerung um etwa zehn Prozent. Keine Kleinigkeit für einen Landkreis mit rund 275.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und eine Region, die außerhalb der Stadt Siegen in weiten Teilen ländlich strukturiert ist. Kleine Dörfer, oft auch Streusiedlungen prägen gerade im Rothaargebirge das Bild. Den Weg einem besseren ÖPNV beschreibt der Entwurf des neuen Nahverkehrsplans. Viele waren daran beteiligt und wurden im Vorfeld gehört – die Kommunen, Verkehrsunternehmen und benachbarte ÖPNV-Aufgabenträger. Die Bürgerinnen und Bürger hatten Gelegenheit, sich online zu äußern.1.320 Rückmeldungen gingen ein, beanstandet wurde vor allem das Fahrplanangebot. 39 Prozent der Teilnehmenden bewerteten es als „mangelhaft“ oder „ungenügend“, auch die teilweise langen Fahrzeiten und häufiges Umsteigen stießen auf Ablehnung.
Der neue Nahverkehrsplan nimmt sich die Kritik zu Herzen und setzt auf ein integriertes Angebotskonzept. Es sieht vor, das Hauptliniennetz zu stärken und auf Schnell- und Regionalbuslinien auszurichten. Durch bessere Taktungen soll es künftig in Siedlungsbereichen mit mehr als 250 Einwohnern ein stündliches ÖPNV-Angebot geben. Entfallen sollen dagegen die bisherigen Lokalbuslinien. Sie werden zum Teil in andere Linien integriert, zum Teil durch App-basierten On-Demand-Verkehr ersetzt. Der soll künftig kreisweit angeboten werden und als „Flexbus“ die Brücke zum Linienverkehr auf der Straße und auch der Schiene schlagen „Die Vision, dass künftig alle Ortschaften des Kreises an den ÖPNV angeschlossen werden, ist keine Utopie“, so Landrat Müller. „Heute sind wir davon allerdings noch meilenweit entfernt. Mit On-Demand-Verkehren wie dem Flexbus wird das möglich sein.“
Endgültig entschieden ist über den neuen, ab 2028 gültigen Nahverkehrsplan noch nicht. Zuvor muss noch das formelle Beteiligungsverfahren stattfinden, in dem gesellschaftliche Gruppen und die Träger öffentlicher Belange Stellungnahmen abgeben können. Die Abstimmung im Kreistag ist für das Frühjahr 2025 vorgesehen. Die Chancen für ein positives Votum stehen gut, schließlich wurden alle Stakeholder bereits zuvor eingebunden. Zudem ist nicht absehbar, dass sich der Kreis finanziell überfordert. Der Gutachterentwurf geht davon aus, dass mit dem neuen Konzept die Kosten um 8,7 Millionen Euro auf 45,4 Millionen Euro wachsen. Gegengerechnet werden müssen jedoch die Erlöse durch Fahrgeldeinnahmen und ÖPNV-Pauschalen des Landes NRW. Da sie in diesen Zahlen nicht enthalten sind, aber den ÖPNV überwiegend, finanzieren, wird Siegen-Wittgenstein also nicht ganz so tief in die Tasche greifen müssen. Und ein ÖPNV-Angebot, das Land und Leute zusammenhält, ist dem Landkreis den Einsatz allemal wert.