RegioSignaleBlog: Herr Strehmann, als Referatsleiter Mobilität und Wirtschaft beim Deutschen Städte- und Gemeindebund sind Sie mit den kommunalpolitischen Dimensionen des Klimawandels bestens vertraut. Welche Rolle spielt der Verkehrssektor in dieser Gemengelage?
Jan Strehmann: Die klimapolitischen Ziele, die Bund und EU vorgeben, müssen letztlich in den Kommunen umgesetzt werden. Neben dem Gebäude- und Energiesektor ist der Verkehrssektor eine der tragenden Säulen in kommunalen Klimaschutzkonzepten. In den kommunalen Klimaschutzkonzepten werden konkrete Ziele und Maßnahmen formuliert, und das ist auch nötig. Denn der Verkehrssektor konnte die Klimaschutzziele bisher ganz offensichtlich nicht umsetzen, und wir werden diese Ziele nur dann erreichen, wenn wir auch abseits der Großstädte im ländlichen Raum sowie in Klein- und Mittelstädten Maßnahmen ansetzen.
RegioSignaleBlog: Welchen Anteil haben ländliche Regionen denn am Verkehrsgeschehen und den Emissionen im Verkehrssektor?
Jan Strehmann: Wenn wir über Klimaschutz im Verkehrssektor reden, kommen wir am ländlichen Raum nicht vorbei. Aktuell leben rund 68% der Menschen außerhalb von Großstädten. Mehr als 20 Millionen Menschen pendeln und die Pendeldistanzen werden immer größer. Auf dem Land spielt sich ein Drittel der Verkehrsleistung ab und der CO2-Ausstoß pro Kopf ist deutlich höher als in den Städten. Beim Anteil des ÖPNV an den zurückgelegten Wegen ist es genau umgekehrt. Der liegt in den Metropolen bei 20 Prozent, in Großstädten bei 12 Prozent und im ländlichen Raum bei fünf bis sieben Prozent. Der Handlungsbedarf ist also enorm. Das Potenzial allerdings auch.
RegioSignaleBlog: Was hält die Kommunen davon ab, die Menschen für den Umstieg in den ÖPNV zu gewinnen?
Jan Strehmann: Die zentrale Herausforderung besteht natürlich darin, unter schwierigen Rahmenbedingungen ein überzeugendes Nahverkehrsangebot bereitzustellen. Genau das brauchen wir aber, wenn wir die Menschen zum Umsteigen bewegen wollen. Disperse Siedlungsstrukturen, eine geringe Bevölkerungsdichte und kaum realisierbare Bündelungseffekte erschweren das enorm. Wir werden das Auto im ländlichen Raum also auf absehbare Zeit nicht ersetzen, aber vielleicht eine Alternative zum Zweit- oder Drittwagen bieten können. Die zweite Herausforderung besteht darin, so ein Angebot zu finanzieren. Momentan reichen die finanziellen Mittel der Kommunen oft nicht einmal mehr aus, das bestehende Angebot aufrecht zu erhalten, weil Kraftstoffpreise und Personalkosten drastisch gestiegen sind.
RegioSignaleBlog: Lassen wir die knappen finanziellen Mittel mal für einen Moment außen vor. Gäbe es denn Ideen für attraktivere Angebote in der Fläche?
Jan Strehmann: Ja, wir haben gut funktionierende Nahverkehrskonzepte für den ländlichen Raum. Es gibt Reaktivierungsbestrebungen auf der Schiene, gute Regionalbus-Konzepte und regionale Expressbus-Linien. Die so genannten Plus-Bus-Konzepte funktionieren ebenfalls sehr gut und dann haben wir natürlich noch die flexiblen Bedienformen, die nach der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes einen Aufschwung erleben. Sie sind jetzt integraler Bestandteil des ÖPNV und die sogenannten Linienbedarfsverkehre vielerorts schon in der Ausschreibung oder Umsetzung. Aber natürlich könnten wir da noch viel mehr machen, wenn die nötigen Mittel dafür bereitstünden.
RegioSignaleBlog: Autonome On-Demand-Verkehre gelten vielen als Hoffnungsträger. Wären sie für Kommunen nicht auch in finanzieller Hinsicht eine attraktive Lösung?
Jan Strehmann: Solche Projekte kommen noch nicht gänzlich ohne Personal aus und sind auch technisch noch in der Entwicklung. Ich sehe deshalb nicht, dass uns diese Technik in den nächsten 10 Jahren auf der Kostenseite erheblich entlastet. Ich bezweifle auch, dass die Masse an Pendlerinnen und Pendlern mit solchen flexiblen Kleinbussen zum Umstieg bewegt werden können. Das wird allein kapazitätsmäßig nicht funktionieren, weil sehr viele Fahrzeuge nötig wären, wenn das System angenommen würde. In bestimmten Raumtypen können wir aber schon heute mit Linienbedarfsverkehren allerdings eine erhebliche Verbesserungen erzielen.
RegioSignaleBlog: Gemessen an den Kosten pro Personenkilometer sind diese Verkehre aber nicht gerade günstig.
Jan Strehmann: Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, Mobilität auch im ländlichen Raum als Teil öffentlicher Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Dort gibt es schließlich auch Leute, die kein eigenes Fahrzeug haben, die zu jung für einen Führerschein oder zu alt zum Fahren sind. Flexible Bedienformen verbessern in jedem Fall die Teilhabe. Da schwingen also viele soziale Aspekte mit, die wir nicht vergessen dürfen. Es geht um Erreichbarkeit, Teilhabe und Lebensqualität, aber auch um Standortqualität für die Kommunen. Sie haben ein erhebliches Interesse an einem guten Mobilitätsangebot – auch, damit die Leute dort möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben können. Abgesehen davon geht es schlicht und ergreifend auch um bezahlbare Mobilität. Manchmal fällt für flexible Bedienformen zwar ein Zuschlag an. Verglichen mit den Kosten eines eigenen Autos sind On-Demand-Verkehre aber natürlich trotzdem für die Nutzerinnen und Nutzer sehr günstig.
RegioSignaleBlog: Öffentliche Mobilität sollte ja nicht nur für die Bürger:innen, sondern auch für die Besteller bezahlbar sein. Wie sieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund die aktuelle Lage?
Jan Strehmann: Wir weisen gegenwärtig immer wieder darauf hin, dass die Kommunen das laufende ÖPNV-Angebote nicht aufrecht erhalten können, wenn der Bund keine zusätzlichen Mittel bereitstellt. Der im Koalitionsvertrag zwischen Bund, Ländern und Kommunen vereinbarte Ausbaupakt ist zwar geschrieben und enthält auch alles, was die Aufgabenträger brauchen. Aber im Moment gehen die zusätzlichen vom Bund bereitstellten Mittel Richtung Deutschland-Ticket und die zusätzlich Milliarde, mit der die Regionalisierungsmittel im Dezember aufgestockt wurden, fließt wohl in den Schienenpersonennahverkehr, der ja auch mit den steigenden Energiepreisen kämpft. Für den Ausbaupakt im ÖPNV ist kaum ein Cent da. Wir brauchen also jetzt diese Finanzierungsperspektive, damit wir über Angebotserweiterungen reden können.