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„Innovation braucht Tempo und Mut“

Als Vorständin für das Ressort Digitalisierung und Technik lotst Daniela Gerd tom Markotten die DB durch den Transformationsprozess. Wir haben gefragt, wie die Reise läuft.

RegioSignaleBlog:  Auf der digitalen Schiene ist mächtig viel los. Die digitale Kupplung ist am Start, Ersatzteile kommen aus dem 3-D-Drucker, die Echtzeitauslastungsanzeige ist angelaufen. Zufrieden?  

Daniela Gerd tom Markotten: Wir haben in der jüngeren Vergangenheit viele digitale Lösungen angestoßen. Das Schöne daran ist, dass wir die Pilotphasen jetzt Schritt für Schritt hinter uns lassen und gemeinsam mit dem Nah- und Regionalverkehr in Rollout und Skalierung kommen. Skalierung macht die Digitalisierung für unsere Kundinnen und Kunden flächendeckend erlebbar – und genau darauf kommt es an. Schließlich geht es nicht nur um Kapazität und Qualität, sondern auch um ein modernes und bequemes Reiseerlebnis für unsere Fahrgäste. Deshalb freuen wir uns auch sehr über den Launch der Echtzeitauslastungsanzeige. Die Fahrgäste werden direkt am Bahnsteig informiert, wo es noch freie Plätze gibt, können schneller in weniger stark besetzte Wagen einsteigen und die Bahnen können pünktlicher abfahren. Das ist ein echtes Win-Win für alle Beteiligten. 

RegioSignaleBlog: Sie betonen gerne die humane Seite der Digitalisierung. Spielt die „Schnittstelle Mensch“ bei der digitalen Transformation die Hauptrolle? 

Daniela Gerd tom Markotten: Sicher. Das muss auch so sein. Schließlich wollen wir nicht nur für unsere Kunden und Kundinnen, sondern von unserer gesamten DNA her ein moderner Mobilitätsanbieter werden. Das gelingt nur, wenn die Digitalisierung angenommen wird und den Berufsalltag erleichtert. Deshalb beziehen wir bei der Entwicklung digitaler Produkte von Anfang an die Kollegen und Kolleginnen mit ein, die hinterher Tag für Tag damit arbeiten sollen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Anwendung Künstlicher Intelligenz in der Disposition, die bereits bei den S-Bahnen Stuttgart, München und Frankfurt im Einsatz ist. Da waren die Disponenten von Anfang an mit eingebunden und hatten die Möglichkeit, die Benutzeroberfläche mitzugestalten. Gleichzeitig haben wir das KI-Tool anfangs nur „mitlaufen“ lassen, um zu sehen, inwieweit die Disponenten dem Tool und den Vorschlägen der KI vertrauen. Am Ende treffen sie ja nach wie vor die Entscheidung. 

RegioSignaleBlog: Wie gehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit diesen neuen Anforderungen um? Solche Arbeitsmethoden wollen ja auch eingeübt sein. 

Daniela Gerd tom Markotten: Dieser iterative und agile Prozess ist viel mehr als eine Methode für die effiziente Entwicklung von Software. Das ist ein Kulturthema, weil es die Art und Weise verändert, in der wir kooperieren. Man arbeitet gemeinsam an Projekten, begegnet sich dabei auf Augenhöhe, hört einander zu und zieht an einem Strang. Das geht nur mit Vertrauen und deshalb spielen der Mensch und kulturelle Veränderung bei der Digitalisierung so eine wichtige Rolle.  

RegioSignaleBlog: Reicht dieser Kulturwandel auch in andere Bereiche des Unternehmens hinein? 

Daniela Gerd tom Markotten: Das ist unser Ziel und ich würde auch sagen, dass es uns immer besser gelingt. In meinem Ressort haben wir uns auf die Fahne geschrieben, eine „Go-to-Organisation“ zu werden. Das bedeutet: Zu uns kann man kommen, wir beraten mit Expertise und einem breiten Erfahrungsschatz und wir arbeiten gemeinsam an Lösungen. Gleichzeitig wirkt dieser Anspruch weit über IT und Digitalisierung hinaus, weil wir im Systemverbund unterwegs sind und stetig daran arbeiten, die Kundenerfahrungen zu verbessern. Das machen wir mit cross-funktionalen Teams im Personen- und Güterverkehr, in der schweren Instandhaltung und in der Systemtechnik und werben dabei kontinuierlich dafür, gemeinsam an Lösungen arbeiten. Das dafür nötige Vertrauen stellt sich aber nicht über Nacht ein, sondern entsteht schrittweise. Deshalb hilft es, wenn wir gemeinsame Erfolge auf den Etappen dorthin auch gemeinsam feiern. 

RegioSignaleBlog: Digitalisierung erhöht die Kapazitätsauslastung, die wiederum führt zu mehr Verschleiß. Was bedeutet das für die Instandhaltung? 

Daniela Gerd tom Markotten: Es mag sein, dass mehr Betriebsleistung auf der Infrastruktur mehr Aufwand bei der Instandhaltung nach sich zieht. Aber bei der Digitalisierung geht es ja um die Optimierung des Gesamtsystems, und die setzt gerade in der Instandhaltung enorme Effizienzreserven frei. Denn die Digitalisierung ermöglicht es, regelbasierte Instandhaltung durch zustandsbasierte und mit Hilfe von Prognosedaten sogar durch vorausschauende Instandhaltung zu ersetzen. Dann passiert das Gegenteil: Wir erbringen zwar eine höhere Betriebsleistung, haben dank Sensorik und Digitalisierung aber trotzdem einen geringeren Aufwand bei der Instandhaltung und können unser Material auch länger nutzen, weil wir es eben nicht nach einer bestimmten Anzahl von Instandhaltungszyklen ausmustern müssen. Ein gutes Beispiel sind Radsatzmessanlagen. Wir vermessen die Radsätze automatisch durch das Überfahren von speziellen Anlagen in den Werken auch zwischen den Instandhaltungsfristen. Das passiert, wenn die Fahrzeuge z.B. für die Reinigung sowieso im Werk sind.  

RegioSignaleBlog: Sie haben kürzlich die East Japan Railways besucht, mit der die Deutsche Bahn bereits seit langem kooperiert. Welche Bedeutung hat dieser Austausch und welche Erkenntnisse haben Sie mitgebracht? 

Daniela Gerd tom Markotten: Der Austausch innerhalb des Bahnsektors ist extrem wichtig, da wir alle vor den gleichen Herausforderungen stehen. Das hilft uns, weil wir voneinander lernen können und das Rad nicht jedes Mal neu erfinden müssen. Von daher war es interessant zu sehen, wo unsere japanischen Kollegen und Kolleginnen bei umweltfreundlichen Antriebstechniken mit Wasserstoff stehen oder wie autonomes Fahren dort aussieht. Es gab auch einen Workshop rund um das Thema Predictive Maintenance, und da muss ich gestehen, dass die japanischen Kollegen und Kolleginnen uns bei der Umsetzung schon ein Stück voraus sind. Wir haben aber nicht nur viel gelernt und neue Impulse mit nachhause gebracht, sondern auch unsere 20-jährige Zusammenarbeit und das große Vertrauen, das in dieser Zeit gewachsen ist, gefeiert. 

RegioSignaleBlog: Konnten Sie aus Japan auch Anregungen für die Verkehrswende mitnehmen?  

Daniela Gerd tom Markotten: Ich habe definitiv mitgenommen, dass wir in Deutschland schneller in die Umsetzung kommen müssen. Dabei gilt der Anspruch, dass wir unsere Kunden und Kundinnen nicht nur zufriedenstellen, sondern wir müssen sie begeistern. Denn nur dann bleiben sie uns treu, empfehlen den Öffentlichen Verkehr weiter und bringen andere dazu, es auch mal ohne Auto zu probieren. Wenn der Branche das gelingt, klappt auch die Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene. Deshalb geht es auch darum, als Branche zusammenzustehen und gemeinsam eine Antwort auf die Frage zu finden, was wir technologisch auf die Beine stellen müssen, um zukunftsfähig bleiben zu können. Ich möchte, dass die Branche Vorreiterin ist und zeigt, wie moderne und nachhaltige Mobilität zukünftig aussehen kann. 

RegioSignaleBlog: Solche ambitionierten Zielvorgaben kennt man eher von der Automobilindustrie, die Sie Richtung Bahn verlassen haben. Sollte sich die Bahnbranche vom Selbstbewusstsein der Autobauer eine Scheibe abschneiden? 

Daniela Gerd tom Markotten: Ja, ich kenne beide Systeme. Aber ich habe mich bewusst für die Bahn und damit auch für die nachhaltige Mobilität entschieden. Es ist eine spannende Herausforderung, die Verkehrsverlagerung auf die Schiene voranzutreiben, Digitalisierung, Technologie und Nachhaltigkeit zusammenzubringen und Vorreiter beim Ausbau nachhaltiger Mobilität zu sein. Allerdings fordern Innovationsprozesse auch ein gewisses Tempo bei der Umsetzung von Ideen ein. Hier würde ich mir von der Branche manchmal mehr Mut wünschen.  Mehr Startup-Spirit täte unserer Branche daher ganz gut. 


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