Protokoll: Erik Klügling

Gabriele Fröhlich, 68, Mannheim
„Ob zur Stadtbibliothek, zum Markt oder einfach am Neckar entlang: Ich liebe es, mich in meiner Heimat Mannheim mit dem Fahrrad zu bewegen. Selbst Städte wie Kopenhagen, Paris oder gar Abu Dhabi entdecke ich am liebsten auf zwei Rädern – vor allem, seit ich in Rente bin. 2024 übernahm ich das neu geschaffene Ehrenamt als Fahrradbeauftragte der Stadt Mannheim. Für eine globale Vernetzung trat ich auf Wunsch der Stadt dem weltweiten Netzwerk der Bicycle Mayors bei. Mannheim hat gute Voraussetzungen für eine echte Fahrradstadt: Immerhin wurde das Fahrrad hier vor über 200 Jahren von Karl Freiherr von Drais erfunden. Heute gibt es viele engagierte Gruppen, fahrradaffine Stadtplaner, viele gute Ideen. Die Innenstadt ist aber noch immer geprägt vom Autoverkehr. Komplett autofreie Straßen – das traut sich die Stadt noch nicht. Mobilität sollte in all ihren Formen gefördert werden, die Straßen für alle Menschen da und sicher sein – vor allem für Kinder, Eltern oder ältere Menschen. Fahrradfahren sollte einfach sein und sich nicht wie eine Mutprobe anfühlen. In meiner Funktion als ehrenamtliche Fahrradbeauftragte höre ich Menschen zu, suche Lösungen und baue Brücken zwischen Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft. Ganz wichtig sind mir die regelmäßigen Netzwerktreffen wie der Runde Tisch Radverkehr, den ich moderiere. Hier arbeiten Fachabteilungen der Stadtverwaltung, Gemeinderatsmitglieder aller Parteien, verschiedene Fahrradinitiativen, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club und Vertreter:innen der Industrie- und Handelskammer gemeinsam an fahrradfreundlichen Lösungen. Hier kann ich auch Ideen aus dem BYCS-Netzwerk einspeisen und sie auf lokale Bedürfnisse anpassen. Außerdem plane ich Plakataktionen, produziere Erklärvideos und unterstütze Kampagnen wie Uffbasse, also „Aufpassen“, die charmant, aber wirksam für mehr Rücksicht und Miteinander werben. Besonders am Herzen liegen mir Fahrradkurse für Erwachsene, speziell für migrantische Frauen. Bei ihnen sieht man, dass es beim Fahrradfahren und bei Mobilität allgemein um so viel mehr geht als nur um Fortbewegung. Es geht um die Möglichkeit, an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und um Lebensqualität. Wenn der Durchfahrtsverkehr und im öffentlichen Raum abgestellte Autos weichen und mehr Grünflächen entstehen, lädt die Innenstadt auch wieder zum Leben ein – und nicht nur zum Durchfahren. Ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit zu einem positiven Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden in der Stadt beitragen kann.“

Martin Laschewski, 42, München
„Ich komme vom Dorf, da war das Auto heilig. Auch in München bin ich anfangs jeden Meter auf vier Rädern gefahren. Dann aber wurde mir das ganze Theater um die Parkplatzsuche und die ständigen Reparaturen zu blöd. München ist aber ein hartes Pflaster für die Mobilitätswende. Auf zwei Menschen kommt hier nämlich ein Auto – das ist viel zu viel. Ich lebe deshalb autofrei, repariere meine Räder selbst und engagiere mich bei der Nichtregierungsorganisation FreiRAUM-Viertel. Hier verwandeln wir graue Parkplätze mithilfe von mobiler Begrünung und Stadtmöbeln in kleine Aufenthalts-Oasen und zeigen, dass Stadtentwicklung auch von unten funktioniert. Anfangs wollte ich eigentlich nur ein paar Autofahrer:innen ärgern – jetzt engagiere ich mich ernsthaft und Vollzeit. Wenn’s sein muss, male ich mir meinen Radweg eben selbst. Ich sehe mich aber nicht nur als Kämpfer, sondern auch als Versöhner. In meiner Funktion als Bicycle Mayor versuche ich, andere NGOs, Verwaltung und Anwohner:innen an einen Tisch zu bringen und sie für den Radverkehr zu begeistern. Das 58-Euro-Ticket ist nämlich leider für viele einkommensschwache Menschen keine Option. Außerdem ist das Fahrrad für mich das demokratischste aller Verkehrsmittel, weil es Lösungen für viele Probleme bietet: Du willst dich mehr bewegen, günstiger, schneller und mit weniger Stress unterwegs sein? Nimm das Rad! Und jede Person, die aufs Fahrrad umsteigt, entlastet die Straße – auch für die, die wirklich aufs Auto angewiesen sind. Ich weiß: Der Umbau hin zu einem fahrradfreundlichen München bleibt ein Kampf. Aber ich bin voller Hoffnung. Und ich finde: Wir sollten auch mal loben, wenn etwas gut funktioniert. Die Münchner Zeppelinstraße zum Beispiel zeigt, wie ein Umbau zugunsten von Fuß- und Radverkehr aussehen kann. Nach dem Radentscheid 2019, den ich mitorganisiert habe, soll jetzt auch der Altstadtring umgebaut werden. Wer weiß: Vielleicht wird mal ein Radschnellweg nach mir benannt. Vielleicht auch nicht. Wichtig ist nur, dass wir dranbleiben, damit künftige Generationen davon profitieren.“

Anna Genser, 44, Köln
„Seit ich denken kann, fahre ich Fahrrad. Gerade hier in Köln, einer Stadt mit viel Gedränge und Stau, ist das der perfekte Auto-Ersatz. Besonders gerne bin ich mit dem Lastenrad unterwegs, erledige damit den Wocheneinkauf oder bringe meine drei Kinder von A nach B. Über meine Kinder kam ich auch zu meinem Amt als Bicycle Mayor. Irgendwann haben mich die vielen Eltern total genervt, die ihre Kinder mit dem Auto zur Kita und Schule bringen und dann die ganze Straße verstopfen. Ich engagierte mich für eine Schulstraße und im Rahmen einer Fahrrad-Demo lernte ich dann Reinhold Goss kennen, meinen Vorgänger. Reinhold setzte sich während seiner Amtszeit vor allem für den Ausbau des Stadtrings ein, auf dem jetzt eine sechs Kilometer lange, extrabreite Fahrradroute durch die Innenstadt führt. Als ich 2024 seine Aufgabe übernahm, hatte er schon viele Türen in der Kölner Verwaltung geöffnet und Kontakte geknüpft, damit ich auch direkt ernst genommen und aktiv in Diskussionen einbezogen werde. In meiner Amtszeit lege ich den Fokus auf Sicherheit und Familienfreundlichkeit, vor allem im Zusammenwirken mit der Kidical Mass Initiative, bei der ich mich schon seit einigen Jahren engagiere. Die Radwege der Innenstadt sind zwar gut ausgebaut und sicher, aber in vielen Stadtteilen ist es nach wie vor zu gefährlich. Es braucht breitere Fahrstreifen, sichere Übergänge und endlich ein zusammenhängendes Netz. Ich sehe aber auch, dass sich etwas bewegt. Auch wenn der aktuelle Fahrradentscheid, der Verbesserungen in genau diesen Punkten fordert, gerade auf der Kippe steht und ein Rückschlag droht: Die Stadt zeigt immer mehr Bereitschaft, das Fahrrad systematisch mitzudenken. Und die Zahlen geben uns recht: Am 12. Mai 2025 wurden auf dem Hohenzollernring zum ersten Mal mehr Radfahrer:innen als Autofahrer:innen gezählt. Da ist also ordentlich was in Bewegung. Und bei der Sternfahrt Mitte Juni waren fast 1500 von uns auf der Straße. So viele Menschen auf dem Rad zu sehen – das hat mich tief berührt. Es zeigt mir: Wir sind viele und können gemeinsam etwas verändern.“

Andreas Müller, 72, Witten
„Ich bin in meinem Leben viel herumgekommen – aber in Witten hängengeblieben. Seit über 35 Jahren lebe ich hier im Südosten des Ruhrgebietes, habe als Verkehrsplaner bei der Stadt gearbeitet. Einen Führerschein hatte ich nie, bin immer leidenschaftlich Rad gefahren. Das Fahrrad ist für mich mehr als ein Fortbewegungsmittel. Für mich symbolisiert es Freiheit, spart viel Geld und hilft enorm bei der Rettung des Klimas. Als ich in Rente ging, war deshalb für mich klar: Für dieses Verkehrsmittel, das mich immer bewegt hat, will ich mich stark machen. Deshalb habe ich mich 2018 bei dem Netzwerk der Bicycle Mayors beworben – und wurde aufgenommen. In Witten nenne ich mich aber lieber Fahrradbotschafter, um der echten Bürgermeisterin keine Konkurrenz zu machen. Mir ging es auch nie um den Titel, sondern ums Tun. Meine Vision: Witten soll Fahrradstadt werden. Dafür braucht es sichere Wege, weniger Autos und mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer:innen. Mein großes Ziel: ein Radverkehrsanteil von 25 Prozent. Dafür organisiere ich Kidical-Mass-Fahrraddemos, an denen Dutzende Kinder und Familien teilnehmen, moderiere Podiumsdiskussionen, halte Vorträge über fahrradfreundliche Stadtentwicklung. Mit dem ADFC und dem Verkehrsclub Deutschland habe ich zum Beispiel das Radverkehrskonzept unserer Stadt analysiert, priorisiert und öffentlich diskutiert. Als Kommunalpolitiker im Kreistag setzte ich mich dafür ein, dass der Radverkehr eine höhere Priorität genießt und brachte Machbarkeitsstudien für neue Radrouten in unserer Region auf den Weg. In Kooperation mit der Stadt habe ich sogar Videos für Social Media gedreht, in denen Kinder aus ihrer Sicht erklären, wo das Radfahren in Witten hakt. Für das alles braucht es einen langen Atem – und manchmal auch eine Heckenschere: Einmal habe ich eine gefährliche Straßenecke eigenhändig freigeschnitten, damit dort endlich Platz für eine Fahrradmarkierung war. Aber: Es hat sich gelohnt. Witten wurde im ADFC-Fahrradklima-Test 2025 als Aufsteiger Nummer 1 unter den Städten unter 100.000 Einwohnern ausgezeichnet – eine späte, aber schöne Bestätigung. Solange ich kann, mache ich diesen Job weiter. Irgendwann aber werde ich dafür zu alt sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass das Amt des Bicycle Mayors nicht unbesetzt bleiben wird – der Radverkehr wird weiterwachsen.“
Die Bicycle Mayors sind Teil eines weltweiten Netzwerks, das aus der gemeinnützigen Organisation BYCS aus Amsterdam hervorgegangen ist. Das BYCS bringt seit 2016 engagierte Menschen zusammen, die sich ehrenamtlich für bessere Radinfrastruktur, sichere Wege und eine nachhaltige Mobilitätskultur einsetzen. Weltweit setzen sich über 150 Fahrradbürgermeister:innen in mehr als 40 Ländern für eine Politik ein, die das Fahrrad in den Fokus der Mobilität stellt.


