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Neue Umweltzone erhitzt in London die Gemüter

Verkehrspolitik und soziale Fragen sind in der Debatte eng miteinander verknüpft, weiß Birgit Maaß, die als Korrespondentin für die Deutsche Welle in London arbeitet.

Der 29. August ist der Stichtag. Dann will die Londoner Stadtregierung die „Ultra Low Emission Zone“ (ULEZ), die derzeit nur für die inneren Stadtbezirke gilt, auf ganz London ausweiten. Auch für die restlichen fünf der insgesamt neun Millionen Bürgerinnen und Bürger der Stadt bedeutet das: Falls sie mit einem Fahrzeug unterwegs sind, das die Abgaswerte nicht einhält, werden pro Tag 12,50 Pfund (rund 14,60 Euro) fällig. Die neue Umweltzone ist 18-mal größer als die bisherige – und stößt auf Widerstand. Fünf Stadtbezirke haben Klagen eingereicht, Stadträte prophezeien katastrophale Folgen für die Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger, Protestgruppen riefen zu Demonstrationen auf. Birgit Maaß lebt seit mehr als 20 Jahren in London und arbeitet dort als Korrespondentin der Deutschen Welle (DW). Wie sieht sie die Situation? 

RegioSignaleBlog: Seit Bürgermeister Sadiq Khan die Ausweitung der ULEZ auf die ganz London angekündigt hat, schlagen die Wellen hoch. Ist das öffentliche Verkehrssystem um die inneren Stadtbezirke herum so schlecht ausgebaut oder geht es da ums Prinzip?  

Birgit Maaß: Ich bin da persönlich gar nicht betroffen und wahrscheinlich auch befangen. Erstens wohne ich in der Innenstadt, zweitens habe ich gar kein Auto, sondern nehme nach Möglichkeit das Rad. Aber der öffentliche Verkehr in London ist gut ausgebaut. Besonders natürlich im Zentrum, auch wenn die U-Bahnen mitunter überfüllt sind oder Busse im Stau stehen, aber auch in den Außenbezirken, wenn auch nicht ganz so gut. Dort machen sich jetzt natürlich die Leute Gedanken, für die es schwierig ist, auf das Auto zu verzichten, weil sie schlecht angebunden sind. Die Argumentation der Gegner geht dahin, dass die Ausweitung der ULEZ sozial nicht gerecht ist. Sie betreffe ja die älteren Fahrzeuge und damit vor allem solche Bürgerinnen und Bürger, die sich am wenigsten ein neues Auto leisten können.  

RegioSignaleBlog: Die Gegner des Projekts machen lautstark von sich reden. Gibt es auch Befürworter? 

Birgit Maaß: Die Umwelt- und die Fahrradverbände sehen das Vorhaben positiv. Die Umfragen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen – es kommt halt immer darauf an, wie man die Frage stellt. Verkehrsdebatten werden in London generell ziemlich heiß geführt. Es gibt militante Stimmen auf beiden Seiten, dazwischen aber auch moderate Positionen, die einfach eine vernünftige Verkehrspolitik wollen.  

RegioSignaleBlog: Bürgermeister Sadiq Khan hat ebenfalls mit sozialen Aspekten argumentiert, aber anders als die Gegner der Ausweitung der Umweltzone. Er sagt, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner der inneren Stadtbezirke am stärksten von der schlechten Luftqualität betroffen sind, obwohl sie – oft aus Kostengründen – gar kein Auto besitzen.  

Birgit Maaß: Ich weiß gar nicht, ob das so spezifisch für London ist. Aber welche Auswirkungen die Luftverschmutzung hat, spielt hier tatsächlich eine große Rolle. Ich erinnere mich an ein sehr berührendes Interview, das ich mit Rosamund Kissi-Debrah geführt habe, deren kleine Tochter an Luftverschmutzung gestorben ist. Der Fall ging durch die Medien, weil 2020 erstmals ein Gericht Luftverschmutzung als eine Todesursache festgestellt hat. Das Mädchen hieß Ella und litt unter Asthma. Ihre Mutter kämpft seitdem sehr für saubere Luft, auch deshalb, weil vor allem die sozial Schwächeren an den großen Straßen wohnen und am meisten unter der Luftverschmutzung leiden. Das ist in London wirklich ein krasses Problem.  


bestes Foto Alex
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Foto: Birgit Maaß


RegioSignaleBlog: Um der Kritik an der Ausweitung der ULEZ etwas entgegenzusetzen, hat die Londoner Stadtregierung jetzt die Ausweitung ihrer Abwrackprämie für ältere Autos angekündigt. Familien, die Kindergeld beziehen, und Kleinunternehmen sollen besonders profitieren. Wird das die erhitzten Gemüter beruhigen?  

Birgit Maaß: Das ist schwer zu beurteilen. Wer durch die Erweiterung der ULEZ über ein neues Auto nachdenkt, wird sich zwar für die Förderung interessieren. Aber wer nicht betroffen ist, an dem geht das vorbei. Und wem die ganze Richtung nicht passt, wird sich wohl auch durch die soziale Abfederung nicht umstimmen lassen.  

RegioSignaleBlog: Autofahren in der Londoner Innenstadt ist generell teuer. Allein die Citymaut in der Innenstadt kostet pro Tag 15 Pfund, die ULEZ, wo sie bereits besteht, schlägt mit weiteren 12,50 Pfund zu Buche, wenn das Fahrzeuge die Abgaswerte nicht einhält. Wer fährt da überhaupt noch mit dem Auto?  

Birgit Maaß: Leute, die Sachen transportieren, die ein Geschäft haben, können nur schwer aufs Auto verzichten. Wer schlecht zu Fuß ist, greift auch aufs Auto zurück, jedenfalls spielt das in der Debatte immer wieder eine Rolle. Aber Autofahren ist wirklich teuer. Ich habe schon den Eindruck, dass es auch ein Statussymbol ist, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Umweltverbände haben herausgefunden, dass die Mehrheit der Autofahrten in der Stadt kurze Fahrten sind, die zum großen Teil auch gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten. 

RegioSignaleBlog: Sie selbst fahren Fahrrad. Wie fühlt sich das an in einer Stadt wie London?  

Birgit Maaß: Das Radwegenetz ist den letzten Jahren deutlich besser geworden. Wenn es weiter verbessert würde und man sich sicherer fühlen könnte, wäre das Rad bestimmt für noch mehr Menschen eine bequeme Alternative. Da ist noch viel Luft nach oben. Tatsächlich sind auch da, wo ich wohne, neue Radwege mit Abtrennung zur Straße entstanden. Allerdings ist bei mir um die Ecke kürzlich ein Radfahrer gestorben, weil ein Lastwagen ihn im toten Winkel hatte. Also, man muss schon aufpassen. Meine Mutter hat jedenfalls nach wie vor Angst um mich (lacht) …  



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