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„Städte können nicht allein für Autos da sein“

Die Kommunen gestalten die Mobilität der Zukunft. Dabei dürfen sie nicht allein gelassen werden, fordert Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Interview: Carsten Hänche

Herr Fuchs, wenn man Mobilität als gesamtstaatliche Aufgabe begreift, die Bund, Länder und Kommunen betrifft und bei der alle drei Ebenen zusammenwirken sollten – welche Bedeutung hat dann die Ebene der Städte und Gemeinden?

Timm Fuchs: Eine große Bedeutung, denn Städte und Gemeinden ermöglichen vor Ort die Mobilität für die Menschen. Die Städte und Gemeinden unterhalten Straßen und Brücken, sie besitzen und beauftragen Verkehrsunternehmen, die ÖPNV-Leistungen erbringen. Sie diskutieren mit den Bürgerinnen und Bürger, was lebenswerte Städte und Gemeinden ausmacht, wieviel Platz der Autoverkehr, der Rad- und der Fußgängerverkehr beanspruchen dürfen. Auf der Ebene der Städte und Gemeinden fällt die Entscheidung, wie Mobilität jetzt und künftig aussehen soll.

Wie gut können die Städte und Gemeinden dieser Bedeutung gerecht werden?

Timm Fuchs: Das ist von Ort zu Ort unterschiedlich, aber generell sind die Kommunen immer weniger in der Lage, den Betrieb zu finanzieren und die Infrastrukturen, denen der Betrieb folgen soll, zu unterhalten. Wir hatten 2024 ein absolutes Rekorddefizit bei den Kommunalfinanzen, minus 24,8 Milliarden Euro, ca.18 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Das Infrastruktur-Sondervermögen des Bundes in Höhe von 100 Millionen Euro ist eine tolle Sache, wenn das Geld tatsächlich mehrheitlich und unbürokratisch bei den Kommunen ankommt. Aber die Kommunen haben auch ein strukturelles Problem, nämlich zu viele Aufgaben bei zu wenig Einnahmen. Da muss sich in dieser Legislaturperiode dringend etwas ändern.  

Eine gerade veröffentliche Studie von MCube Consulting rechnet vor, wie sehr der ÖPNV den Standort stärkt. Die Bruttowertschöpfung des ÖPNV übersteigt die Betriebskosten um das Dreifache. Umgekehrt heißt aber auch: Wo am ÖPNV gespart wird, droht eine Abwärtsspirale …

Timm Fuchs: Ich bin MCube und der Initiative Zukunft Nahverkehr sehr dankbar für diese Studie. Der ÖPNV hat unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Finanzierung traditionell das Image, ein Defizit-Bereich zu sein. Diese Studie zeigt, was wir im Grunde schon immer wussten, nämlich dass das in der Gesamtbetrachtung keineswegs so ist. Sie arbeitet systematisch die Wertschöpfungseffekte des ÖPNV heraus, zum Beispiel für die örtliche Wirtschaft oder auch den Tourismus. Das finden wir richtig gut! Denn es zeigt, dass staatliche Investitionen in den ÖPNV gut angelegtes Geld sind. Und dabei betrachtet die Studie nur die rein ökonomischen Effekte. Die Bedeutung eines attraktiven ÖPNV für die Bürgerinnen und Bürgerinnen geht aber darüber hinaus – gerade in Regionen, wo die Menschen das Gefühl haben, dass sie abgehängt sind. Das lässt sich nicht genauso quantifizieren wie die Wertschöpfung, ist aber spätestens mit Blick auf Wahlen genauso wichtig.

Wobei sich bei einer strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen die Frage stellt, wo die Mittel herkommen sollen …

Timm Fuchs: Die ÖPNV-Finanzierung, die wir heute haben, speist sich aus vielen Töpfen. Wegen ihrer Unübersichtlichkeit wird das oft Spaghetti-Finanzierung genannt. Für die Kommunen ist zunächst wichtig, dass sie nicht allein gelassen werden, dass Bund und Länder sich beteiligen und das langfristig abgesichert ist. Grundsätzlich sollten die Kommunen aber in die Lage versetzt werden, mehr als bisher aus eigener Kraft für einen guten kommunalen ÖPNV zu sorgen, also aus eigenen Steuereinnahmen und nicht durch Zuweisungen und Förderprogramme.

Der deutsche ÖPNV ist komplex organisiert. Den SPNV finanziert der Bund, die Länder setzen ihn um. Die Kommunen bestreiten den lokalen und regionalen Busverkehr. Das hat eine Vielzahl von Aufgabenträgerorganisationen zur Folge. Die Branche hat vorgeschlagen, die Strukturen zu vereinfachen, was Synergien bei Organisationsformen und Verkehrsangeboten schaffen könnte. Wie stehen Sie dazu?

Timm Fuchs: Das ist der richtige Weg. Das Deutschlandticket als deutschlandweit einheitlicher Tarif geht ja bereits in diese Richtung. Da zeigt sich in der Folge auch, dass es Sinn macht, in Synergien zu denken und mehr und mehr zusammenzuarbeiten. Das betrifft dann nicht nur das Verkehrsangebot, sondern auch Themen wie Beschaffung oder wie Digitalisierung. Allerdings wird dadurch das grundsätzliche Finanzierungsproblem nicht gelöst.

Mehr Handlungsspielraum haben die Kommunen bei Themen, die wenig oder gar keine Investitionen erfordern. Zum Beispiel bei der fußgängerfreundlichen Gestaltung der Städte und Gemeinden, beim Ausweisen von Radwegen. Wird das mutig genug genutzt?

Timm Fuchs: Bei 11.000 Kommunen in Deutschland lässt sich das nicht einheitlich nicht beantworten. Wir beobachten aber immer mehr Projekte, die bei der Frage ansetzen: In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben? Wie dominant soll der Autoverkehr sein? Welche Alternativen gibt es? Die Diskussion darüber wird mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt und ist gerade auch beim Handel und Gewerbe ein großes Thema. Wir unterstützen den Ansatz, unter dem Stichwort „Lebenswerte Stadt“ dem Radverkehr, dem Fußverkehr, dem ÖPNV mehr Raum zu geben. Städte mit einer hohen Lebensqualität und den entsprechenden Mobilitätsformen sind ja auch ein hoher Wertschöpfungsbringer. Und Städte können nicht allein für Autos da sein. Aber natürlich hat auch das Auto seine Berechtigung. Wir raten immer dazu, diese Themen nicht von oben herab anzugehen. Wer den Bürgerwillen ernst nimmt, muss alle Stakeholder einladen und gemeinsam überlegen, wie eine lebenswerte Stadt vor Ort umgesetzt werden kann.

Was wiederum zeigt, dass die Bedeutung der Kommunen für die Zukunft des ÖPNV über den finanziellen Aspekt hinausgeht. Kommunen schaffen offenbar Bewusstsein und Bereitschaft für eine Mobilitätswende.

Timm Fuchs: Absolut. Wir als Städte- und Gemeindebund setzen uns dafür ein, dass die Kommunen dafür auch mehr Möglichkeiten bekommen. In der letzten Legislaturperiode haben wir eine Novelle des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung begleiten dürfen. Was da entstanden ist, ist schon ein Paradigmenwechsel zu einem zeitgemäßeren und kommunalfreundlicheren Straßenverkehrsrecht. Ein erster Schritt, dem weitere folgen für eine bessere und sichere Mobilität in der Stadt und auf dem Land.

Timms Fuchs, 51, macht sich als Experte für die Themen Wirtschaft, Mobilität, Tourismus und Ländliche Räume gegenüber Politik und Verwaltung für die Interessen von Städten und Kommunen stark. Beim Thema Mobilität zählt für ihn vor allem der richtige Mix: Nur, wenn Bus, Bahn, Miet-Rad und Co. perfekt ineinander greifen, sei der Nahverkehr der Zukunft für die Menschen attraktiv.

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