Lesedauer: 2 Minuten

Urbanloop flitzt mit Kapseln in die Zukunft

Ein französisches Start-up stellt die Idee der Massenverkehrssysteme auf den Kopf. Die erste Pilotanwendung ist für die Olympischen Spiele 2024 in Paris geplant.

Sie muten an wie Spielzeuge, die Kapselroller, die auf dem Testgelände in Nancy in Ostfrankreich im Kreis flitzen. Doch die Idee hat große Zukunft, davon ist Jean-Philippe Mangeot überzeugt. Als Dozent an der Université de Lorraine hat er 2017 gemeinsam mit Studierenden über neue Ideen für urbane Mobilität nachgedacht. Sein Ausgangspunkt: „Das Transportmittel der Zukunft muss unter minimalem Einsatz von Energie und Material mit dem Auto konkurrieren können.“ Herausgekommen ist „Urbanloop“ – eine Innovation, die die Philosophie klassischer Transportsysteme gegen den Strich bürstet. Ein öffentlich finanziertes Start-up arbeitet an der Anwendungsreife.  

Ein Kilometer, eine Minute, ein Cent 
Ob Bus, U-Bahn oder Straßenbahn: Seit es sie gibt, setzen ÖPNV-Systeme auf Menge, auf große Fahrzeuge für viele Fahrgäste. Urbanloop tut genau das Gegenteil. Wie beim Internet-Routing sequenziert es Masse in handliche Pakete. Nur einen Meter breit und 3,20 Meter lang sind die Kapseln, die einander wie im Konvoi folgen. Sie bieten Platz für zwei Fahrgäste, oder auch nur einen Passagier mit Fahrrad, Rollstuhl oder Kinderwagen. Das Gleis besteht aus Stahlwinkeln statt Schienen. Auf ihren schmalen, gummibereiften Rädern sind die Kapseln ebenso flink wie energieeffizient unterwegs. Jede verfügt über einen eigenen Antrieb, der über das Gleis mit 72 Volt Gleichstrom versorgt wird und die Fahrzeuge trotz Kleinspannung auf 60 km/h beschleunigt. Bei einer Rekordmessfahrt im Mai 2021 schaffte ein Urbanloop-Kapselroller einen Kilometer mit einem Stromverbrauch von gerade mal 0,05 kWh. Zum Vergleich: Das ist so viel, wie ein 2.000 Watt-Föhn in eineinhalb Minuten verbraucht. Für den Echtbetrieb verspricht Urbanloop: ein Kilometer in einer Minute mit einem Cent Stromkosten.  

Mit Urbanloop sollen die Fahrgäste nicht mehr auf Bus oder Tram warten müssen, sondern umgekehrt die Fahrzeuge auf ihre Fahrgäste. Einfach einsteigen und Fahrziel auswählen, den Weg finden die Kapselroller autonom. Zwischenhalte gibt es nicht, anders als klassische Transportsysteme befördert Urbanloop die Mitfahrenden immer nonstop. Digital gesteuert werden soll auch die Bereitstellung. Ein Algorithmus prognostiziert die Nachfrage und dirigiert die Kapseln dorthin, wo sie gebraucht werden. Das Kapselroller-Konzept ist zwar weniger leistungsfähig als die großen Massenverkehrssysteme, doch dafür kommt es mit einer schlanken Infrastruktur aus. Die Investitionen pro Streckenkilometer veranschlagt Urbanloop zwischen einer und sechs Millionen Euro. Das wäre ein Bruchteil der Kosten einer U-Bahn (mehr als 100 Millionen Euro) und selbst gegenüber einer Straßenbahn (im Mittel rund 20 Millionen Euro) ein echtes Schnäppchen.  

Marktpotenzial in mittelgroßen Städten 
Dass sich mit diesen Pluspunkten insbesondere in Städten mittlerer Größe ein Marktpotenzial erschließen lässt, glaubt nicht nur Jean-Philippe Mangeot. Sein Seminarthema hat sich zum veritablen Unternehmen mit einem Dutzend Beschäftigten entwickelt, das er als Direktor leitet. Die Université de Lorraine ist Gesellschafterin, Unterstützung kommt darüber hinaus von der Region Grand Est und staatlichen Programmen zur Innovationsförderung.  

Auch rund hundert Studierende technischer Fachrichtungen beschäftigen sich im Rahmen ihrer Ausbildung mit dem Konzept. Inzwischen befindet es sich auf dem Weg zur Anwendungsreife: „Bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 darf Urbanloop erstmals Fahrgäste transportieren“, berichtet Mangeot. „Es wird zehn Fahrzeuge geben, die auf einer Strecke von zwei Kilometern drei Stationen rund um die olympischen Randsportwettkämpfe anfahren.“ Auf diesen Piloten soll 2026 eine Strecke in Nancy folgen, die einen großen Pendlerparkplatz mit dem Stadtzentrum verbindet. Sie soll weitgehend über eine nicht mehr genutzte Bahntrasse verlaufen, Straßen unterirdisch kreuzen und von einem Rad- und Fußweg gesäumt werden. Mangeot gerät ins Schwärmen: „Mit sehr wenig Aufwand entsteht ein grüner Korridor bis in die Innenstadt.“   


Weitere Beiträge