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„Wir brauchen veränderte Prioritäten“

Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbands SchienenNahverkehr und Geschäftsführer der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, mahnt einen Paradigmenwechsel an.

RegioSignaleBlog: Herr Prechtl, alle reden vom Klimaschutz, doch im Verkehrssektor kommt er nicht voran. Der Pkw ist nach wie vor das mit Abstand dominierende Verkehrsmittel und der Verkehrssektor der einzige Wirtschaftsbereich, der seit Jahren und auch 2022 seinen CO2-Minderungszielen hinterherläuft. Müssen wir uns damit abfinden?  

Thomas Prechtl: Aus meiner Sicht auf keinen Fall. Wir benötigen ein dauerhaftes Umdenken und veränderte Prioritären in der Politik. Gute politisches Ziele können nur dann etwas bewirken, wenn die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Wir müssen uns deshalb davon verabschieden, alle Verkehrsträger gleich zu fördern und stattdessen die umweltfreundliche Mobilität deutlich stärker unterstützen. Mit dazu gehört für mich, bei den Push-Faktoren anzusetzen, etwa bei der Parkraumbewirtschaftung, der City-Maut, dem Dienstwagenprivileg. Andere Länder sind da viel weiter als wir.  

RegioSignaleBlog: Das Bundesverkehrsministerium hat gerade die jüngste Langfrist-Verkehrsprognose veröffentlicht. Danach wird sich am Marktanteil des Schienenverkehrs gegenüber dem Auto in den kommenden Jahrzehnten nur wenig ändern. Das spricht nicht für einen Paradigmenwechsel …  

Thomas Prechtl: Davon ist leider wenig zu spüren. Die für die Verkehrsprognose verwendeten Prämissen gehen davon aus, dass der politische Wille gering ist. Push-Faktoren wie die oben genannten spielen in der Prognose keine Rolle. Und es werden Preis- und Kostenmodelle für den motorisierten Individualverkehr unterlegt, nach denen Autofahren weiter vergleichsweise billig bleiben kann und wird. Das ist unrealistisch und es setzt fatale Signale. Wenn selbst ein Tempolimit von 130 km/h politisch nicht gewollt ist, obwohl es in der Bevölkerung auf Zustimmung stößt, dann mangelt es offenbar nach wie vor am Grundverständnis dafür, wie es um unser Klima steht.  

RegioSignaleBlog: Muss der Pkw unattraktiver oder müssen der ÖPNV und der Schienenverkehr attraktiver werden? 

Thomas Prechtl: Man muss immer beide Systeme im Auge behalten. Und es geht auch nicht darum, die Straße künstlich unattraktiv zu machen. Wenn man beispielsweise den Platzbedarf des Individualverkehrs betrachtet und für die Nutzung der benötigten Flächen die Grundstückspreise gegenrechnet, dann müsste Parken gerade in einer Stadt wie hier in München um ein Vielfaches teurer sein. Aber ehrlicherweise muss man auch anerkennen, dass der motorisierte Individualverkehr weiter gebraucht werden wird. Wir werden nicht jeden Einödhof im Oberpfälzer Wald attraktiv und wirtschaftlich sinnvoll an den ÖPNV anschließen können. Womit wir uns aber stärker beschäftigen müssen, sind die Reiseketten – also von zuhause zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof, um dann mit Bus und Bahn weiterzufahren. Das alles sind Umdenkprozesse, die politisch gesteuert werden müssen. Der motorisierte Individualverkehr steht aber noch immer viel zu sehr im Fokus.  

RegioSignaleBlog: Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Ansatzpunkte für öffentliche Mobilität auf Augenhöhe mit dem Pkw?  

Thomas Prechtl: Das Angebot muss stimmen. Für den Nahverkehr auf der Schiene bedeutet das zum einen hoch vertaktete Verkehre und zum anderen Qualität, was neben Pünktlichkeit gerade auch Komfort beinhaltet. In Sachen Komfort setzen moderne Pkw den Standard, einen ausgesprochen hohen Standard. Deshalb brauchen wir innovative Fahrzeugprojekte im Schienenverkehr. Die Eisenbahn-Verkehrsunternehmen und die Industrie müssen da mehr tun. Was alles möglich ist, das hat der Ideenzug City von DB Regio gezeigt und das zeigt bei uns in Bayern der Ideenzug Regio, den wir als BEG gerade mit der Südostbayernbahn auf die Strecke bringen. Das ist zwar zunächst nur ein Doppelstockwagen, aber wir wollen im ersten Schritt auch vor allem herausfinden, welche Module wie bei den Fahrgästen ankommen. Ich hoffe, dass da mehr daraus wird und das Projekt künftige Fahrzeugbeschaffungen beeinflusst.             

RegioSignaleBlog: Wir stehen kurz vor dem Start des Deutschlandtickets. Ist das ein Aufbruchsignal für die Branche und die Mobilitätswende?  

Thomas Prechtl: Definitiv. Eigentlich war das 9-Euro-Ticket schon ein Aufbruchsignal, um das uns viele Länder beneidet haben. Es hat gezeigt, dass einfache und preisgünstige Tickets Neukunden in unsere Systeme bringen. Wir haben heute einen Wirrwarr an Tarifen, einen Dschungel mit tausenden Bäumen, durch die ein Fahrgast kaum mehr durchblickt. Das Deutschlandticket macht die Türen auf für eine Tarifreform, für neue Strukturen. Wenn wir es jetzt richtig machen, dann ist nicht nur das Deutschlandticket einfach, dann werden es die Angebote unterhalb des Deutschlandtickets ebenfalls sein. Dann erleichtern wir den Fahrgästen auch die Auswahl und den Kauf des richtigen Tickets, etwa indem man auf dem Handydisplay nur nach rechts oder links wischt oder sich mit Check-in/Be-out-Systemen um gar nichts mehr kümmern muss. Was aber vor allem wichtig ist: Die Finanzierung des Deutschlandtickets muss gesichert sein, und zwar langfristig. Im Moment ist sie es nur bis 2025.    

RegioSignaleBlog: Im Juni 2020 bekräftigten der Bund und die Wirtschafts- und Branchenverbände im „Schienenpakt“ das Ziel, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln. Halten Sie daran fest?  

Thomas Prechtl: Wir sollten daran festhalten, weil das ein klarer und auch gut kommunizierbarer Orientierungspunkt ist. Aber um das Ziel zu erreichen, müssen die Rahmenbedingungen gegeben sein. Dabei stehen für mich drei Themen im Mittelpunkt. In der Infrastruktur geht es um mehr Zuverlässigkeit, mehr Kapazität, mehr Digitalisierung. Da ist inzwischen vieles auf den Weg gebracht. Was aber oft vergessen wird, obwohl es zur Infrastruktur gehört, sind die Bahnhöfe, die ebenfalls für eine Verdopplung der Fahrgastzahlen ausgelegt werden müssen. Darüber hinaus muss die Finanzierung des Verkehrsangebots Wachstum ermöglichen. Die jetzt vereinbarte Erhöhung der Regionalisierungsmittel, so positiv sie auch ist, reicht nur aus, um die gestiegenen Kosten aufzufangen. Das gewährleistet den Status quo, aber mehr Verkehr ist damit nicht zu machen. Und schließlich brauchen wir qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Branche leidet unter Fachkräftemangel. Der SPNV muss deshalb nicht nur mehr Fahrgäste anlocken, sondern auch Menschen, die in dieser Branche arbeiten wollen. Wenn wir bei diesen drei zentralen Themen vorankommen, dann, glaube ich, können wir auch eine Verdopplung der Fahrgastzahlen erreichen. 


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