RegioSignaleBlog: Herr Tschierschwitz, in der Debatte um die Mobilitätswende gelten ÖPNV und Fahrräder als Hoffnungsträger. Sie kommen jetzt mit twogo um die Ecke und vermitteln Mitfahrgelegenheiten im Auto. Wo ist da das Potenzial für eine klimafreundlichere Mobilität?
Stephan Tschierschwitz: Wir gehen davon aus, dass der Mobilitätsmix bunt und vielfältig bleiben und das Auto weiterhin eine Rolle spielen wird, weil es zum Bedarf der Menschen passt. Das gilt insbesondere für den ländlichen Raum, wo ÖPNV-Anbindung, Taktung und das Mobilitätsangebot insgesamt oft zu wünschen übrig lassen. Wenn es uns aber gelingt, die Anzahl der Fahrzeuge zu reduzieren, weil wir uns gemeinsame Wegstrecken teilen, reduzieren wir Emissionen, entlasten den öffentlichen Raum vor allem in den Städten und tun der Umwelt was Gutes.
RegioSignaleBlog: Ein Blick auf die Website zeigt: Ihr Service richtet sich an Pendler und Dienstreisende; Unternehmen und Gemeinden. Warum dieser Fokus?
Stephan Tschierschwitz: Mit twogo bieten wir Firmen einen weiteren Baustein für das betriebliche Mobilitätsmanagement. So wie sie ihren pendelnden Mitarbeitern vielleicht ein Jobticket, das Deutschlandticket oder andere Mobilitätslösungen anbieten, können sie ihnen mit twogo ein attraktives Angebot für die Fahrt mit dem Auto machen. Die Firmen sind unsere Geschäftspartner. Sie erwerben Lizenzen für die Plattform, stellen sie den Mitarbeitern kostenlos zur Verfügung, während sie über die Plattform Reports ziehen und ihre CO2-Bilanz im Pendel-Kontext ausweisen können. Das ist das Kerngeschäftsmodell. Der Grundgedanke dahinter ist, Bündelungseffekte zu generieren, um möglichst schnell Fahrtvolumen und damit eben auch Mitnahmepotenzial ins System zu bekommen. Gut besuchte Events wie Stadtfeste, Konzerte oder Bundesligaspiele bieten eine weitere Möglichkeit, Nutzer ins System zu bringen.
RegioSignaleBlog: Der Erfolg von Mitfahr-Apps steht und fällt damit, dass sie schnell das nötige Volumen generieren. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit twogo gemacht?
Stephan Tschierschwitz: Eines ist klar: Einfach nur ein Angebot schaffen und ins Intranet stellen, funktioniert nicht. Damit die Masse in Schwung kommt, muss die Lösung gut vermarktet werden. Schließlich stößt man damit auch immer einen Veränderungsprozess an, der begleitet werden muss – was wiederum in der Natur der Sache liegt, weil die Mobilitätswende per se Verhaltensänderungen voraussetzt. So gesehen haben Unternehmen also auch eine gewisse Verantwortung, ihre Mitarbeiter für solche Angebote zu gewinnen. Wir haben der App viele Bausteine mitgegeben, die das erleichtern – zum Beispiel einen Gamification-Ansatz, bei dem man für eingestellte Fahrten und Mitfahrten Punkte gutgeschrieben bekommt und die Nutzer mit den meisten Punkten dann vielleicht einen Preis bekommen, den die Firma auslobt. Solche Geschichten liefern Gesprächsstoff, wecken Emotionen, machen Spaß – und Zack sind wir genau an dem Punkt, wo wir hinwollen. Das sehen wir auch hier bei uns in der Schwarz Mobility Solutions, obwohl wir nur knapp über 100 Leute sind.
RegioSignaleBlog: Trotzdem dürften 100 Mitarbeiter in der Regel nicht genügen, damit eine Mitfahr-App abhebt. Gibt es so etwas wie eine kritische Masse?
Stephan Tschierschwitz: Die gibt es sicherlich. Ob oder wie schnell sie erreicht wird, hängt allerdings ganz wesentlich von den Präferenzen und Profileinstellungen der Nutzer ab. Denn es macht einen enormen Unterschied, ob sie nur im Kollegenkreis nach Mitfahrgelegenheiten suchen oder auf das komplette Fahrtangebot zugreifen möchten. Wir ermuntern deshalb standardmäßig dazu, möglichst offen zu suchen, weil die Erfolgsaussichten für einen passenden Match dann viel größer sind als bei einem Zugriff auf ein begrenztes Fahrtangebot.
RegioSignaleBlog: Man könnte also Gewerbegebiete mit vielen eher kleinen Unternehmen poolen, um so die nötige kritische Masse zusammenzubringen?
Stephan Tschierschwitz: Absolut. Allerdings ist das noch ein zartes Pflänzchen, weil Mitfahren immer noch ein Nischenthema ist. Aber es ist uns ein echtes Anliegen, solche Ökosysteme in Gang zu bringen, und manchmal gelingt es auch. In Ludwigsburg zum Beispiel ist ein größeres Konsortium aus Stadt und Unternehmen an den Start gegangen, hat unter dem Motto „Ludwigsburg fährt mit“ erfolgreich um User geworben und ist von Anfang an mit hohen Vermittlungsquoten gestartet. Deshalb liefern wir zusammen mit der Software auch einen ganzen Marketingkatalog aus, aus dem sich unsere Kunden ihre gebrandeten Materialien herauspicken können.
RegioSignaleBlog: Gerade Gewerbegebiete gelten mit Blick auf die ÖPNV-Anbindung oft als Sorgenkinder. Aber sind Mitfahr-Apps wirklich die einzige Antwort auf diese Herausforderung?
Stephan Tschierschwitz: Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: Mitfahrangebote und ÖPNV ergänzen sich perfekt. Denn wenn Verbindungen nicht gut getaktet und noch dazu viele Umstiege nötig sind, erreiche ich die Menschen vielleicht eher, wenn sie wissen, dass sie sich einen Umstieg sparen und die letzte Meile bequem mit einer Mitfahrgelegenheit zurücklegen können. Tatsächlich sehe ich in solchen Konstellationen das größte Potenzial, weil das theoretisch mögliche Angebot an Mitfahrgelegenheiten umso größer wird, je näher man dem Ziel kommt. Gleichzeitig ist die letzte Meile außerhalb der Stoßzeiten für den ÖPNV meistens nicht wirtschaftlich zu bedienen, ganz gleich, in welcher Taktung und mit welcher Gefäßgröße. Gleichzeitig wäre die Ergänzung für twogo ebenfalls ein Gewinn. Denn auch mit twogo kommt man nur im Idealfall in einem Rutsch von der eigenen Haustür bis zur Arbeitsstelle. Und sollte ein Nutzer mal keine Fahrgemeinschaft finden, zeigt die App ÖPNV Alternativen an.
RegioSignaleBlog: Die Idee, dass Mitfahrangebote in multimodale Mobilitätsangebote integriert werden, hat Charme. Aber bis diese Kombination auf der inneren Landkarte der Menschen angekommen ist, wird wohl viel Zeit vergehen. Ist das eine Generationenfrage?
Stephan Tschierschwitz: Das glaube ich nicht. Die Frage ist eher, wie wir als Branche über integrierte oder multimodale Mobilitätsangebote sprechen. Bisher ist es eher so, dass die Bahn über die Bahn spricht, der Mitfahrdienst über seine Mitfahrangebote und der Carsharing-Service über sein Carsharing. Klar, es liegt in der Natur der Sache, dass jeder über sein Geschäftsmodell spricht und Erfolg haben will. Aber noch ist eine branchenübergreifende Ansprache Mangelware, obwohl sie doch allen zugutekäme. Ich glaube, da können wir alle noch Vieles besser machen. Es wäre jedenfalls klasse, wenn die Zukunft Nahverkehr auch dazu führen würde, dass Mobilitätsangebote nicht immer nur branchenspezifisch kommuniziert werden. Denn verkehrsträgerübergreifende Angebote sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Mobilitätswende.