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„Wir rollen den Magnetteppich aus“

In Paris will die SNCF bald Züge mit Magnetantrieb fahren lassen. Die verwendete MagRail-Technologie liefert das Startup Nevomo. Co-Founder Stefan Kirch weiß mehr.

RegioSignaleBlog: Herr Kirch, MagRail klingt ein bisschen nach Science-Fiction, vor allem aber nach einer Mischung aus Magnetschwebebahn und Schiene. Liege ich da richtig?

Stefan Kirch: Genauso ist es. MagRail ist eine Magnetschwebebahn, die auf der heute bereits vorhandenen Infrastruktur fahren kann. Wie Nevomo auch, kommt das Konzept ursprünglich aus der Hyperloop-Ecke. Was wir bei MagRail aber weggelassen haben, ist der Vakuumtunnel, der eigentlich nur Probleme macht, viel Geld kostet und auf absehbare Zeit keinen Nutzen bringen wird. Stattdessen bringen wir die Magnetschwebe- und Magnetmotorkomponenten in die bestehende Schieneninfrastruktur ein. Dort erzeugen sie eine Magnetwelle, auf der kleinere Züge – wir nennen sie Pods – schwimmen können. Wir rollen also auf den Schwellen einen Magnetteppich aus. 

RegioSignaleBlog: Was ist mit größeren Zügen? 

Stefan Kirch: Wenn man seitlich der Schwellen, also außerhalb des Lichtraums, noch Magnetschwebeschienen anbringt, kann man auf dieser Infrastruktur auch magnetschweben. Die MagRail-Technologie ist voll kompatibel mit dem heutigen Schienensystem, vom Prinzip her eine Kombilösung aus einem Magnetschwebesystem und dem heute üblichen Schienensystem. Beides kann auf dem gleichen Netz existieren, ohne sich zu stören und man kann mit den bestehenden Zügen einfach weiterfahren. 

RegioSignaleBlog: Reden wir also von hybriden Zügen, die sich je nach Streckenabschnitt mal mit traditioneller Traktion und mal mit Magnetantrieb fortbewegen … 

Stefan Kirch: So ist es. 

RegioSignaleBlog: … und eine sanierungsbedürftige Schieneninfrastruktur, über die mit MagRail ein verschleißfreier Magnetteppich ausgerollt werden könnte? 

Stefan Kirch: Der Magnetteppich ist insofern verschleißfrei, weil es keine beweglichen Teile gibt. Das Magnetfeld ist in der Luft, wird als Antriebskraft für den Pod genutzt und ermöglicht, dass ein Fahrzeug auf den Schienen schwebt. Aber selbst, wenn man das Schweben weglässt und auf Rädern fährt, rollen die Räder nahezu verschleißfrei vor sich hin. Denn die Kraft, die die Züge vorantreibt, wird nicht mehr über die Räder auf die Schienen übertragen, sondern kommt über die Magnetmotoren. Wir nutzen also den niedrigen Reibungskoeffizienten des Rad-Schiene-Systems, kommen aber um die Nachteile, nämlich die Ineffizienz des Antriebs, herum. Gerade mit Blick auf die Realisierung des Deutschlandtaktes und die anstehenden Sanierungsmaßnahmen bietet diese Technologie also sehr interessente Optionen. Schließlich könnte man damit ein Hochgeschwindigkeitssystem realisieren, das doppelt so schnell ist wie unser heutiges, ohne dafür neue Strecken bauen zu müssen. Bei den 160er-Strecken halten wir 250 bis 300km/h für möglich.  

RegioSignaleBlog: Das scheint auch die französische SNCF überzeugt zu haben. Sie hat kürzlich ein Memorandum of Understanding mit Nevomo unterzeichnet. Welche Potenziale sieht die SNCF in der Technologie von Nevomo? 

Stefan Kirch: Die SNCF hat einen Anwendungsfall im Güterverkehr und zwei Anwendungsfälle im Personenverkehr im Blick. Im Güterverkehr werden Züge durch einen Linearmotor verstärkt, um Steigungsstrecken mit einer höheren Tonnage bewältigen oder bei identischer Tonnage schneller fahren zu können. In beiden Fällen erhöht das die Kapazitäten. Im Personenverkehr geht es unter anderem um die Seine-Tunnel in Paris, die vor allem im Berufsverkehr als Nadelöhr gelten. Da Züge mit Linearmotor nicht nur schneller beschleunigen, sondern auch besser bremsen, können sie die Abschnitte zwischen der letzten Station vor dem Tunnel und der ersten Station danach schneller freifahren. Hier möchte die SNCF testen, ob sich die Kapazität dieser Engstellen mit Hilfe unserer Technologie stark genug erhöhen lässt, um den Bau weiterer Tunnel vermeiden zu können.  

RegioSignaleBlog: Das klingt jetzt gar nicht nach Science-Fiction, sondern sehr konkret und anwendungsorientiert. 

Stefan Kirch: Wir reden auch nicht von Wolkenkuckucksheim, sondern unsere Technologie bietet Lösungen für die heutigen Probleme der Eisenbahn, die man Schritt für Schritt upgraden kann. Man kann mit einem Tunnel beginnen, sukzessive erweitern und schafft mit jedem Meter, den man ausbaut, zusätzliche Vorteile, mehr Kapazitäten und bessere Dynamiken im Netz. Aus meiner Sicht ist das der Weg, wie die Eisenbahn noch in diesem Jahrzehnt mit dem Wettbewerb gleichziehen kann – und auch muss. Denn der Mobilitätsmarkt wartet nicht darauf, bis die aktuelle Infrastruktur den künftigen Anforderungen entsprechend saniert und ausgebaut worden ist. Warum sollte ich Zug, S-Bahn, Straßenbahn oder Bus fahren, wenn das selbstfahrende elektrisch angetriebene Auto und autonome Mini-Pods, die mich von Tür zu Tür bringen, erstmal da sind?  

RegioSignaleBlog: Ist das hohe Modernisierungstempo, das MagRail in Aussicht stellt, der Grund, warum der Hyperloop-Beauftragte der SNCF mit Blick auf das Potenzial der MagRail-Technologie schon jetzt von der dritten Revolution der Eisenbahn spricht?   

Stefan Kirch: Absolut. Das ist ein echtes Upgrade für die Eisenbahn und man muss darauf nicht zehn Jahre warten. Es ist jetzt da und wir setzen es aktuell auf unseren Testanlagen in Polen um. Dort haben wir ein 700 Meter langes Gleis, und darauf testen wir unseren sechs Meter langer und zwei Tonnen schweren Magnetschwebepod. Die Tests laufen bereits und wir gehen aktuell davon aus, dass wir noch im ersten Halbjahr die Testergebnisse veröffentlichen können. Ansonsten fährt der Pod einfach auf Rädern, kann also jede Weiche befahren und in jeden Bahnhof hineinfahren, ohne dass an der Infrastruktur groß etwas geändert werden müsste. Dafür gibt es ja schließlich unseren Magnetteppich. 


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