Interview: Frank Sträter
Frau Merk, Ihre Studie „Wertschöpfung ÖPNV“, die im Auftrag von ZUKUNFT NAHVERKEHR entstanden ist, hat in den Medien ordentlich Wellen geschlagen. Die Message „Ein Euro rein, drei Euro raus“ – oder umgerechnet 25 Milliarden Euro Kosten jährlich gegenüber 75 Milliarden Euro Wertschöpfung – verfängt offenbar. Wie wichtig ist dieses Feedback für Sie und Ihre Kolleg:innen?
Lea Merk: Tatsächlich sind auf mich sehr viele Menschen zugekommen und haben mich auf die Studie angesprochen. Darüber freut man sich natürlich sehr. Wir haben mit unserer Studie aber auch ganz bewusst Argumente geliefert, die faktenbasiert und verständlich sind, damit die auch von den Medien aufgegriffen werden und unsere Botschaft in Gesellschaft und Politik ankommt.
Hört sich nach kluger PR an.
Lea Merk: Auch. Wer die Studie aber liest, wird feststellen, dass alles auf einer seriösen Grundlage fußt. Unser Selbstverständnis ist, dass wissenschaftliches Arbeiten und griffige Botschaften sich nicht ausschließen. Bei unserem Forschungscluster MCube spielt der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sogar eine zentrale Rolle. In unserem Netzwerk bringen wir führende Mobilitätsexpert:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Und im Rahmen unserer Beratungsfirma MCube Consulting greifen wir die Erkenntnisse der Mobilitätsforschung auf, um Städte, Kommunen und Unternehmen bei ihrer Mobilitätsplanung zu unterstützen. Kommunikation – sowohl innerhalb eines spezifischen Bereichs als auch mit Dritten –, ist dafür eine wesentliche Voraussetzung.
Und der ÖPNV ist so ein Bereich?
Lea Merk: Auf jeden Fall. Der ÖPNV betrifft doch schließlich uns alle. Mobilität ist Bestandteil jeden einzelnen Lebens. Leider wird der ÖPNV oft als teuer und schlecht dargestellt. Wir wollten mal überprüfen, ob es nicht auch handfeste Argumente für die Wertschöpfung des ÖPNV gibt.
Die jüngsten Studien des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung und des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema. Was macht Ihre Studie anders?
Lea Merk: Die erwähnten Studien beziehen sich entweder auf die gesamte nachhaltige Mobilitätswirtschaft oder beschränken sich auf die direkte und indirekte Wertschöpfung. Uns fehlte dabei der Blick auf die Bereiche und Branchen, die vom ÖPNV profitieren –Einzelhandel, Tourismus, Immobilienwirtschaft und Pendelverkehr hat. Wir reden hier immerhin von 45 Milliarden Euro jährlich. Auch die vermiedenen externen Kosten in Höhe von neun Milliarden Euro werden sonst nirgendwo berücksichtigt. Die Luftverschmutzung, der Platzverbrauch und der Zeitverlust, die durch Autoabgase, Parkplätze oder Staus entstehen, haben ja auch ihren Preis für die Gesellschaft. Der ÖPNV spart diese Zusatzkosten ein. Das Ergebnis liegt auf der Hand: Der ÖPNV ist ein echter Wertschöpfungstreiber.
So ein multiperspektivischer Ansatz setzt ja ein breit aufgestelltes Team voraus. Wie haben Sie sich für dieses Projekt aufgestellt?
Lea Merk: Wir hatten vier Professor:innen und Forschende der Technischen Universität München im Team, die ihre Expertise in Verkehrsplanung, Mobility Policy, Innovationsökonomie und Controlling eingebracht haben. Die Umsetzung lag dann im Wesentlichen in den Händen unseres fünfköpfigen Projektteams von M-Cube Consulting. Zwischen den einzelnen Studienetappen fanden außerdem mehrere Workshops statt, in denen wir regelmäßig Rücksprache mit den Wissenschaftler:innen gehalten haben, um unsere Methodik immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und zu verfeinern.
Warum ist das nötig?
Lea Merk: Ziel unserer Arbeit ist ja, auf Basis überprüfbarer Daten und Methoden der Wirklichkeit möglichst nah zu kommen. Gleichzeitig ist es aber auch oft so, dass nicht genug aussagekräftige Daten vorliegen oder unterschiedliche Ansätze widersprüchliche Antworten hervorbringen. In diesen Fällen müssen wir die Datenlücken mit begründeten Annahmen überbrücken – oder vielleicht auch mehrere methodische Ansätze einbeziehen, um eine ganze Bandbreite an möglichen Ergebnissen aufzuzeigen. In unserer Wertschöpfungs-Studie bilden wir deshalb auch konservative und progressiven Berechnungen ab. Die Rücksprache mit den Wissenschaftler:innen im Rahmen der Workshops ist also enorm hilfreich.
Laut Ihrer Studie profitieren besonders der Tourismus und der Pendelverkehr wirtschaftlich vom ÖPNV. Dort beträgt der Wertschöpfungsbeitrag im konservativen Szenario zusammengefasst knapp sechs Milliarden Euro, im progressiven hingegen 62 Milliarden Euro. Wie kommt so eine enorme Bandbreite zustande und wie geht man damit um?
Lea Merk: Diese Spannbreitespiegelt im Prinzip die lückenhafte Datenlage wider – und den Umstand, dass es keine etablierte Methodik gibt, mit der man die Ergebnisse einzelner Studien zuverlässig auf ganz Deutschland hochrechnen könnte. Deshalb mussten wir uns in diesen Bereichen häufig auf Annahmen stützen. Tatsächlich dürfte die Wertschöpfung im Tourismus und Pendelverkehr aber noch höher sein als angenommen. Den progressiven Szenarien liegen nämlich sehr konservative Ansätze zugrunde. Außerdem ist über die Effekte im ländlichen Raum wenig bekannt.
Eure Studie ist explizit auf den ÖPNV gemünzt, betrifft also zum Großteil Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen. Auf dem Land fehlt diese Infrastruktur aber. Wie schätzen Sie das Potenzial für den ÖPNV in der Fläche ein?
Lea Merk: Unter den vielen Studien, die wir gesichtet haben, gibt es einige, die von einem sehr großen regionalökonomischen Potenzial sprechen – zum Beispiel, wenn ein Dorf an den Schienenverkehr angebunden wird und so dann Anschluss an die Stadt bekommt. Umgekehrt können die Wertschöpfungseffekte, die dadurch vielleicht in der Stadt entstehen, wieder zurück in die Fläche getragen werden. Hier spielen sicherlich auch Technologien wie der autonome On-Demand-Verkehr eine zentrale Rolle, weil sie das gesamte System effizienter machen.
Wie groß ist denn das wirtschaftliche Potenzial des ÖPNV insgesamt?
Lea Merk: Natürlich können wir nur Hypothesen anstellen. Und unsere Berechnung hängen von sehr vielen Parametern ab, die sich alle gegenseitig beeinflussen. Aber laut unseren Hochrechnungen könnte man die jährliche Wertschöpfung auf bis zu 162 Milliarden Euro steigern, wenn über einen Zeitraum von 10 Jahren eine Summe von 100 Milliarden Euro zusätzlich in den Erhalt und den Ausbau des ÖPNV gesteckt wird. Über den gesamten Zeitraum würde das dann einen Return on Investment von 1:5 ergeben. Der ÖPNV ist also deutlich mehr wert als gedacht.
Lea Merk, 26, ist Consultant bei MCube Consulting – dem Beratungsarm des Münchener Zukunftsclusters MCube, das mit mehr als 80 Partner aus Forschung, Wirtschaft und Verwaltung Mobilitätsinnovationen entwickelt. Merk, eine der Hauptverantwortlichen der ÖPNV-Wertschöpfungsstudie, kommen ihre Ideen u. a. beim Radfahren entlang der Isar oder bei der Fahrt mit der U-Bahn in den Norden der Stadt. Die komplette MCube-Studie und die wichtigsten Zahlen und Fakten im Überblick findet Ihr hier.